Bramante versus Tarfusser

Tarfusser: "Enthaupten? So eine Frechheit!“

Weil Cuno Tarfusser, ehemaliger leitender Staatsanwalt am Landesgericht Bozen, die Freundschaft zu seinen ehemaligen Mitarbeitern und ein gemeinsames Pizza-Essen missbraucht hätte, um die Kontrolle über die Bozner Gerichtsbarkeit zu behalten, habe Giancarlo Bramante, der jetzige leitende Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Bozen, die Reißleine gezogen und Köpfe rollen lassen, so zahlreiche Südtiroler Medienberichte der letzten Tage. Mata Hari musste gehen. Wir von VOX NEWS Südtirol haben mit Cuno Tarfusser ein Interview geführt.

Cuno Tarfusser (links), daneben Tarfussers ehemaliger Arbeitsplatz: der Bozner Gerichtspalast

Giancarlo Bramante, leitender Staatsanwalt in Bozen, whatsappte, wie von Medien berichtet, mit Luca Palamara, dem römischen Skandal-Staatsanwalt, welcher bis zu seinem Ausschluss Mitglied des Obersten Rates der Gerichtsbarkeit (Consiglio Superiore della Magistratura), dem höchsten Selbstverwaltungsorgan der italienischen Richter und Staatsanwälte, sowie ebenso bis zu seinem Ausschluss im Juni 2020, jüngster Präsident der gesamtstaatlichen Vereinigung italienischer Richter und Staatsanwälte (Associazione nazionale magistrati), war. Zur Vervollständigung der Informationen über den römischen Skandal-Staatsanwalt, Palamara stand im Jahre 2019 unter Ermittlung wegen des Verdachtes der Korruption. Der ehemalige Spitzenvertreter der italienischen Gerichtsbarkeit wird beschuldigt mit Urteilen gehandelt sowie geheime Informationen innerhalb des Obersten Rates der Gerichtsbarkeit nach außen getragen zu haben. Die Mailänder Tageszeitung "La Verità" veröffentlichte in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder Abhörprotokolle von verschiedenen von Palamara auf WhatsApp getätigten Chats mit ihm in Verbindung stehenden Personen. Darunter waren auch etliche Nachrichten, die sich Palamara und der leitende Bozner Staatsanwalt Giancarlo Bramante austauschten. In den Nachrichten ging es unter anderem auch um Cuno Tarfusser, ehemaliger leitender Staatsanwalt am Bozner Gericht, 11 Jahre Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, und jetzt stellvertretender Generalstaatsanwalt in Mailand mit Zuständigkeit für Strafsachen. Bramante fürchtet, so lässt es sich aus dem Chatverlauf zwischen Palamara und Bramante entnehmen, Tarfusser wolle sich über die noch immer bestehende Freundschaft zu seinen Ex-Mitarbeitern die Kontrolle über die Bozner Gerichtsbarkeit sichern. Palamara, gegen dem, wie bereits erwähnt, eine Ermittlung wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Verletzung des Amtsgeheimnisses läuft, sagt Bramante ohne Überprüfung des Sachverhaltes seine Unterstützung zu, sei man doch freundschaftlich verbunden, Fußball sei Dank. Die Tageszeitung Alto Adige leitartikelt mit von Bramante im Chatverlauf gewählten Wörtern, wie "Enthauptung" oder einem "Machtkampf", und Tarfusser brummelt nicht ohne Missbilligung, er würde weder kämpfen noch irgendeine Kontrolle haben wollen, er wisse auch nicht wozu, und Macht hätte er schon gar keine.

In einem Interview mit Cuno Tarfusser wollten wir von VOX NEWS Südtirol mehr wissen:

VOX NEWS Südtirol: Herr Tarfusser, ich komme nicht umhin, Sie selbst zum Hickhack zwischen Bramante, Palamara und Ihrer Wenigkeit zu befragen. Wenn man sich das Ganze anschaut, scheint es fast so, als würde Bramante Sie als Bedrohung empfinden. Wie sehen Sie das?

Cuno Tarfusser: Ja, scheint so. Persönlich habe ich mit Bramante wenig zu tun. In den 11 Jahren, in denen ich in Den Haag war, habe ich vielleicht zwei oder dreimal mit ihm gesprochen. Ich versuche auch, die Befürchtung des Oberstaatsanwaltes nicht auch noch zu schüren. Wenn ich also in Bozen bin, versuche ich, die Talferbrücke nicht zu überqueren, damit nicht der Verdacht aufkäme, ich wolle irgendwelche Kontrolle ausüben, was immer das auch heißen mag. Meine Nachfolger sehen mich offensichtlich als rotes Tuch, was ich leider erst spät erkannt habe.

VNS: Wie erklären Sie sich das? Liegt es an Ihrer Kritik an der Arbeitsweise der jetzigen Bozner Staatsanwaltschaft? Besonders gefallen tut Ihnen diese nicht, scheint’s…

Cuno Tarfusser: Zum Wieso und Warum will ich im Moment nicht viel sagen, obwohl ich sehr wohl eine Meinung dazu habe. Die werde ich zu gegebener Zeit sicher noch kundtun.

VNS: Kann es nicht passieren, dass, wenn man so freundschaftlich zusammensitzt und plaudert, wie Sie beim dem ominösen Pizzaessen mit ihren ehemaligen Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft Bozen, man unweigerlich zum Thema Arbeit switcht und einem das eine oder andere über die Lippen kommt, was vielleicht des einen oder anderen zu viel war?

Cuno Tarfusser: Na, logisch spricht man auch über die Arbeit, über das Arbeitsklima, über die früheren Zeiten, aber was heißt denn "Kontrolle ausüben"? Bramante scheint da etwas zu verwechseln, nämlich Freundschaft zu Mitarbeitern aus 24 Jahren enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit, und Kontrolle. Kontrolle wessen und worüber? Glaubt er wirklich, ich hätte nichts Besseres zu tun? Und übrigens, das Wort "decapitare", also "enthaupten", wenn man von Personen spricht, ist schon eine Frechheit, noch schlimmer bezogen auf Mitarbeiter, die auch für ihn jahrelang gearbeitet haben. Ich jedenfalls pflege noch immer die Freundschaft zu den Enthaupteten.

VNS: "Alto Adige" schreibt von Machtkampf…

Cuno Tarfusser: Was für eine Macht? Von welcher Macht sprechen wir? Ich bin in Bozen ein Privatbürger, froh und stolz von so einigen Mitbürgern noch geschätzt zu sein, für das was ich getan habe. Punkt! Diese kriegerischen reißerischen Ausdrücke gehen mir sowieso auf die Nerven.

VNS: Wie sehen Sie das sportlich-freundschaftliche Verhältnis zwischen Bramante und Palamara?

Cuno Tarfusser: Das ist allein deren ihr Problem. Ich kann nur sagen, dass ich mit Palamara - und darunter verstehe ich das ganze krankhaft verseuchte System innerhalb der Gerichtsbarkeit - nie etwas zu tun gehabt habe. Ich war nie Mitglied einer der Strömungen ("correnti"), ich habe nie mit Palamara gesprochen oder "gewhatsappt". Wenn ich für jemanden interveniert bin, dann habe ich das ganz offen und transparent getan. Dieses heuchlerische Getue, dieses hinter dem Rücken arbeiten, wie es offensichtlich auch bei der vereinigten Richterschaft normal ist, ist mir fremd. Was mir aber an dem Ganzen Sumpf besonders aufstößt und mich erzürnt, ist, dass jeder noch so kleine öffentliche Beamte, der sich so verhalten würde, sofort vom Staatsanwalt Besuch bekommen würde. Dieser Widerspruch - zum einen als Kategorie den Anspruch zu erheben, die ethische Autorität innerhalb der Gesellschaft darzustellen, zum anderen aber intern in der Kategorie kein bisschen besser zu sein - ist für mich schon fast unerträglich.

VNS: Was sagen Sie zu Ihrer mutmaßlichen Hilfe für Katia Tenti?

Cuno Tarfusser: Lassen Sie mich hierzu ganz klar sagen, dass ich Katia Tenti nie geholfen habe, noch habe ich auch nur eine Zeile ihres Verfahrens gelesen. Ich habe es ihr nie erlaubt, mit mir darüber zu sprechen. Und auch wenn ich Insiderwissen gehabt hätte, was nicht der Fall war, hätte ich die Grenzen zwischen dem, was erlaubt ist und was nicht, eingehalten. Das Einzige, das ich sehr wohl getan habe, ist, ihr den Rat zu geben zum Staatsanwalt zu gehen, sich einvernehmen zu lassen und so ihre Position zu klären. Diesem Rat ist sie aber, meines Wissens, nie gefolgt. Das sind die Fakten, alles andere war wohl ein Versuch, gerichtlich und mediastisch etwas gegen mich  aufzubauen. Allerdings ist es bei dem Versuch geblieben, denn hätte ich Katia Tenti wirklich geholfen, wäre das ganz anders gegen mich ausgeschlachtet worden. Was mich an der Sache aber besonders enttäuscht, ist die Tatsache, dass die mir sehr wohl bekannten Personen, die hinter diesem Versuch und dieser Kampagne stehen, offensichtlich glauben, dass ich nicht weiß, was sich gehört und was sich eben nicht gehört.

VNS: Aufreißerische Geschichten zu veröffentlichen scheint manchmal oberstes Ziel mancher Medien zu sein.

Cuno Tarfusser: Ja, ich finde, dass gerade in Südtirol, wahrscheinlich weil es uns zu gut geht, so oft Ereignisse für wichtig gehalten und aufgebauscht werden, die es gar nicht sind. So manche Berichterstattung hat nichts mehr mit Journalismus, viel eher mit Voyeurismus zu tun. Ziel ist es, aus dem Nichts eine Story zu konstruieren und Geschichten, die nicht zusammengehören, so zusammenzufügen, dass sie etwas Geheimnisvolles ergeben, dessen sich der Journalist dann rühmt, es aufgedeckt zu haben. Aber was zu viel ist, ist zu viel, und wenn es mir allzu bunt wird - und ich bin nicht sehr weit davon entfernt - dann werde ich wie gewohnt ganz öffentlich, laut und transparent, Ross und Reiter nennen. Dann sind Sie auch herzlichst eingeladen. Bis dahin ziehe ich mich wieder in meine Isolation zurück.

VNS: Oh, danke für die Einladung, nie würde ich mir das entgehen lassen wollen. Vielen Dank für das Interview, Herr Tarfusser, und viel Spaß in Mailand.

VOX News Südtirol / Karin Renee Egger