Jana Šurkalová. Mord mit Fragezeichen

Sie ist eine Mörderin. Zumindest wird sie in den Medien als solche dargestellt. In der Tat: Zwei Gerichtsgrade haben mit Urteil das so festgelegt. Dabei ist das Urteil nicht rechtskräftig, denn in unserem Rechtssystem gilt die Unschuldsvermutung bis zur Entscheidung im dritten und letzten Gerichtsgrad, dem Kassationsgerichtshof in Rom. Die Unschuldsvermutung ist sogar in der italienischen Verfassung festgelegt. Im Art. 27 heißt es. "Der Angeklagte wird bis zur endgültigen Verurteilung nicht als schuldig betrachtet." Mit anderen Worten, Frau Jana Šurkalová hat ein Recht auf Annahme ihrer Unschuld. Keiner hat und insbesondere wir Medien haben daher das Recht auf Frau Šurkalová mit dem Finger zu zeigen und sie vor einem rechtskräftigen Urteil als "Mörderin" darzustellen, auch wenn zwei Gerichte bereits einen Mord als bestätigt sehen. Was viele auch nicht sehen und wissen, ist, wie diese Justiz in Italien funktioniert. Im konkreten Fall hat ein Schwurgericht über die Schuld oder Unschuld befunden. Das Problem: Die Geschworenen in einem Schwurgericht sind aus dem Volk gewählte "Richter". Die juristische Erfahrung spielt für die Eignung keine Rolle. Es reichen ein guter Leumund, die Matura und der Zweisprachigkeitsnachweis. Die Sekretärin kann somit genauso zum Geschworenen werden, wie der Reinigungsmittelvertreter. All das sind Schwächen eines Rechtssystems, welches im Namen des italienischen Volkes spricht. Frau Šurkalová, eine 44-jährige Staatsbürgerin der Tschechischen Republik, Mutter von 2 Kindern, musste all das erleben, ohne ein einziges Wort italienisch oder deutsch zu verstehen. Angesichts all der zahlreichen schändlichen Artikel, die sie in der Öffentlichkeit als eiskalte und blutrünstige Mörderin darstellen, ist das vielleicht auch besser so. VOX NEWS Südtirol hat mit dem aus Como stammenden und in Südtirol domizilierten Strafverteidiger von Frau Šurkalová, Boris Dubini, ein Interview geführt. Ein Interview, indem es auch um die Schwierigkeiten geht, die mit einem Geschworenenprozess zusammenhängen.Der Vorwurf und der Prozess: Jana Šurkalová wird von der italienischen Justiz vorgeworfen 2013 ihren Ehemann mit einem methanolversetzten Alkoholcocktail ermordet zu haben. Am 15. September 2017 wurde die 44-jährige tschechische Staatsbürgerin vom Schwurgericht am Landesgericht Bozen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Am Montag dieser Woche endete vor dem Schwurgericht des Oberlandesgerichtes Bozen der Berufungsprozess. Das erstinstanzliche Urteil wurde bestätigt. VOX NEWS Südtirol: Das Oberlandesgericht in Bozen hat am Montag die lebenslange Haftstrafe für Jana Šurkalová bestätigt. Wie hat Ihre Mandantin die Entscheidung des zweiten Gerichtsgrades aufgenommen?Rechtsanwalt Boris Dubini: Frau Šurkalová, war genauso wie ich sehr zuversichtlich auf eine positive Wende im Verfahren, weil die Begründung des erstinstanzlichen Urteils uns ausreichend Argumente und Gründe für das Berufungsverfahren gab. Insbesondere das vollständige Fehlen von Belastungsbeweisen und die vollständige Unbegründetheit der Anklagepunkte, so wie es auf indirekte Weise auch vom erstinstanzlichem Urteil sowie vom Generalstaatsanwalt anerkannt wurde, ließen uns hoffen. Leider hat das alles nicht ausgereicht. Es sind dies die Risiken, welche in Zusammenhang mit einem Gericht bestehen, in welchem Geschworene, also aus dem Volk gewählte Richter, entscheiden. Die Geschworenen entscheiden häufig aufgrund von ihren Eindrücken und Gefühlen während des Verfahrens, als in Bezug auf die Vorschriften und Prinzipien eines fairen Verfahrens. Meine Mandantin hat das erneute Urteil mit großer Bestürzung und Betroffenheit aufgenommen. VNS: Laut Anklage, welche nun durch zwei Urteile nicht rechtskräftig bestätigt wurde, hätte Frau Šurkalová ihren Ehemann Josef Šurkala mit einem giften Cocktail von Wodka und Methanol umgebracht. Die Verteidigung bestreitet dies jedoch vehement und sagt, dass es nicht so war. Welches sind die wichtigsten Punkte der Verteidigung?RA Dubini: Zu allererst gibt es keinen Zusammenhang zwischen den Anklagepunkten und der Begründung. Frau Šurkalová wurde beschuldigt ihrem Ehemann am Abend des 11. Dezember 2013 einen giftigen Alkoholcocktail verabreicht zu haben und der gesamte Prozess konzentrierte sich allein auf diese Straftathypothese; selbstverständlich war das überhaupt nicht der Fall, aber die Angeklagte ist trotzdem für den Ausschluss anderer Annahmen verurteilt worden und somit in Ermangelung anderer Hypothesen für den Tatverlauf. Genauso steht es auch im Urteil geschrieben. In einem zweiten Moment handelt es sich um ein Verfahren ohne Beweise und somit um einen reinen Indizienprozess. Die Indizien müssen jedoch immer schwerwiegend, genau und übereinstimmend sein, damit diese Relevanz für den Verfahrensausgang finden können. Viele der angenommen belastenden Indizien jedoch haben nicht die genannten Eigenschaften. Im Gegenteil, in gleich mehreren Punkten sprechen die Indizien für die Verteidigung und zwar in einer Weise, dass ausgeschlossen werden kann, dass sich die Tat so ereignet hat wie in der Anklageschrift behauptet. Bedenken Sie, dass unter den Belastungsindizien sich jenes Indiz befindet, dass anlässlich von zwei Besuchen von Frau Šurkalová in Südtirol, konkret im Oktober und November 2013, Herr Šurkala bereits Symptome einer Methanol-Vergiftung gezeigt hätte. In Wirklichkeit, im November 2013, als es dem Ehemann von Frau Šurkalová schlecht ging, befand sich Frau Šurkalová bereits seit zwei Tagen in der Tschechischen Republik. Folglich hat jemand anders Herrn Šurkala das Methanol verabreicht. VNS: Aber das Methanol wurde doch von den Ermittlern bei einer Durchsuchung des tschechischen Wohnhauses von Frau Šurkalová in ihrer Garage gefunden? RA Dubini: Genau. Frau Šurkalová wurde beschuldigt Methanol aus der Tschechischen Republik nach Italien gebracht zu haben. Dies mit dem Zweck ihren Ehemann zu vergiften und dies unbeachtet der Tatsache, dass es doch wenn schon viel einfacher gewesen wäre dem Ehemann das Methanol in seiner tschechischen Heimat zu verabreichen, angesichts der Tatsache, dass der Ehemann am Tag nach seiner Vergiftung in Italien, wäre er dort seiner Vergiftung nicht erlegen, wieder nach Tschechischen zurückgekehrt wäre. Zu dem Zeitpunkt gab es in ganz Tschechien einen Skandal mit Methanol-Alkohol, welcher Dutzende Tote gefordert hat. Der Methanolkanister wurde im Haus von Frau Šurkalová vollständig gefüllt und versiegelt gefunden und das drei Monate nach der Tat, wo sie den Kanister mittlerweile ohne Probleme leicht entledigen hätte können. Es gibt kein Element zur Unterstützung des Vorsatzvorwurfs und genauso kein einziges Element, welches einen Transport des Methanols beweist und dennoch hat niemand der Tatsache Rechnung getragen, dass die einzige Flüssigkeit, welche Methanol in tödlicher Dosis enthalten hat, sich im Magazin des landwirtschaftlichen Betriebs von Leifers befunden hat und zwar an einem Ort, wo die Angeklagte überhaupt keinen Zugang hatte. VNS: Ihre Mandantin hat immer wieder jedwede Schuld von sich gewiesen. Zwei der Gründe für den Mord waren laut Anklage eine abgeschlossene Lebensversicherung des Ehemannes, ausgestellt zugunsten von Frau Šurkalová und abgeschlossen kurz vor dem Ableben des Ehemannes und die Tatsache, dass Frau Šurkalová vor der Tat eine Beziehung mit einem anderen Mann eingegangen ist. Wie rechtfertigt die Verteidigung diese Mordmotive, welche sicherlich nicht zugunsten Ihrer Mandantin ausgelegt werden können?RA Dubini: Zunächst zur Versicherung. Frau Šurkalová hat in Tschechien für die Generali-Versicherung gearbeitet und sie verkaufte diese Polizzenform, somit kannte sie auch die genauen Vertragsbedingungen. Eine davon schloss auf strikte Weise jede Entschädigungsform bei Ableben aus, welche auf Alkoholkonsum zurückgeführt werden kann. Es wäre also sehr dumm von Frau Šurkalová gewesen Methanol zu verwenden, um eine Versicherungspolizze einzukassieren, im Wissen, dass sie dafür ohnehin keine Entschädigung erhalten würde. Nun zur außerehelichen Beziehung. Hier gab es gegensätzliche Zeugenaussagen während der Beweisaufnahme, welche allenfalls kein entscheidendes Element darstellen, auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Ehemann sich zehn Monate im Jahr in Italien aufhielt und einen Großteil seines Verdienstes nach Hause schickte. VNS: Für die Beweisaufnahme im Verfahren waren auch verschiedene Gutachten sowie die Arbeit der italienischen und tschechischen Ermittler sehr wichtig. Wie bewerten Sie das Ergebnis der Ermittlungen?RA Dubini: Frau Šurkalová ist gleich zu Beginn in den Fokus der Ermittlungen geraten, vermutlich wurde sie von vorneherein als die ideale Schuldige für die Tat angesehen. Die Staatsanwaltschaft (Dr. Bramante) hat gegenüber Frau Šurkalová zwar objektiv die Freiheitsgarantien bis zu einer definitiven Verurteilung eingehalten, dennoch hat man schon versucht während des Strafprozesses bei den Geschworenen Stimmung gegen meine Mandantin zu erzeugen. Die Beschlagnahmung in der Tschechischen Republik wurde vom Unteroffizier Crognale durchgeführt, welcher während der Verhandlung versucht hat die Offensichtlichkeit eines vollen und versiegelten Kanisters zu widerlegen, sowie von Polizeiinspektor Lazzara, welcher sehr gute Arbeitsbeziehungen zur Tschechischen Republik hat, dort sogar einen eigenen Gastbetrieb führt. Insgesamt jedoch besteht nicht der Eindruck, dass sie vor Ort nach Elementen zum Vorteil der Angeklagten gesucht haben. VNS: In Südtirol hat die Tatsache, dass zur Zeit der Apfelernte zahlreiche Erntehelfer aus der Tschechischen Republik bei einheimischen Bauern beschäftigt sind eine lange Tradition. Haben Sie den Verdacht, dass im Laufe des Prozesses die Geschworenen und Richter sich von äußeren Umständen beeinflussen haben lassen?RA Dubini: Nein, das glaube ich nicht. Auch wenn das Fehlen von Ethylalkohol im Körper von Herrn Šurkala zwei Sachen beweist: Erstens konnte das Methanol nicht zu einem Alkoholcocktail gemischt worden sein, somit hat sich der Sachverhalt nicht so ereignet, wie in der Anklageschrift geschrieben. Zweitens hat das Krankenhaus Bozen, obwohl es zur Verfügung stand, Herrn Šurkala nicht den Ethylalkohol verabreicht, welcher in Fällen von Methanol-Vergiftungen schlechthin und par excellence das Gegenmittel darstellt. Was noch hinzu kommt ist ein im Zeugenstand angehörter Arzt, welcher zugegeben hat (so steht es auch im Protokoll), dass Ärzte und Pfleger sich nicht in besonderer Weise um Herrn Šurkala gekümmert haben. Eine eventuelle Mitverantwortung des Krankenhauses interessiert hier offensichtlich aber niemanden. VNS: Herr Dubini, sprechen wir nochmal über den großen Methanol-Skandal, welcher sich ungefähr ein Jahr vor dem Ableben von Herrn Šurkala in der Tschechischen Republik ereignet hat. Damals hatten einige Kriminelle in der Tschechischen Republik wissentlich Superalkohol mit Methanol vermischt und in den Handel gebracht. Von September 2012 bis zum 29. Januar 2013 kamen auf diese Weise in Tschechien 48 Menschen ums Leben, die unwissend diesen gepanschten Alkohol gekauft und konsumiert hatten. Weitere 132 Menschen erlitten schwere Vergiftungen. Der Fall hatte damals in Tschechien und weit darüber hinaus ein großes mediales Echo erlangt. Über Monate war in der gesamten Tschechischen Republik der Verkauf von Superalkohol verboten. Zum Schluss wurden die Autoren der Verbrechen – mit denen Frau Šurkalová nicht das Geringste zu tun hatte – ausgeforscht, vor Gericht gestellt und zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Kann es sein, dass dieser Methanol-Skandal die Ermittlungen und auch das Strafverfahren gegen ihre Mandantin beeinflusst haben?RA Dubini: Ohne Zweifel hatte dieses Drama in der jüngeren Geschichte Tschechiens, welches in Verbindung mit Methanol steht, mit Dutzenden von Toten die Aufmerksamkeit und die Ermittlungen weit weg von Leifers geführt. VNS: Der nächste Schritt der Verteidigung ist der Rekurs vor dem Kassationsgerichtshof. Es ist die einzige und letzte Möglichkeit um zu verhindern, dass das Urteil rechtskräftig wird und Frau Šurkala ihre Freiheit verliert. Sehen Sie gute Möglichkeiten, dass der Rekurs in der dritten und letzten Gerichtsinstanz einen guten Ausgang findet?RA Dubini: Die Verletzungen der Rechtsgrundsätze und der Prozessordnungsbestimmungen scheinen mir hier sehr evident zu sein. Es gibt sehr viele Urteile des Kassationsgerichtshofes und auch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in ähnlichen Fällen, wo es eine mangelnde Kongruenz zwischen den Anklagepunkten und der Urteilsbegründung durch Verletzung der Verteidigungsrechte gibt. Auch ist für eine Anklage der Vorsatzvorwurf sehr wichtig, welcher hier vollständig fehlt. Ich bin folglich für Frau Šurkalová sehr zuversichtlich. Autor: (ts), 08.02.2019, VOX NEWS Südtirol - alle Rechte vorbehalten