VOX NEWS Südtirol: Herr Rechtsanwalt Dubini der Antragsteller, wir nennen ihn in unserem Artikel Viktor Franz, hat im vergangenen Jahr beim Sozialsprengel Meran im Rahmen der von der Südtiroler Landesregierung beschlossenen finanziellen COVID-19-Hilfen um einen Sondermietbeitrag und den dazugehörenden Sonderbeitrag für Wohnungsnebenkosten angesucht. Dies hat er gemacht obwohl er seinen Wohnsitz nicht in Südtirol hatte und vor allem deswegen, weil die Landesverwaltung in ihren Veröffentlichungen diese Hilfen auch angeboten hatte, ohne dass Kriterium des verpflichtenden Wohnsitzes in Südtirol. Wie ist Ihre Rechtseinschätzung? Hätte der Antragsteller Anrecht auf die Leistung gehabt?
Rechtsanwalt Boris Dubini: Die Angelegenheit für den Bürger ist gleichermaßen simpel wie verkorkst. Mit Beschluss Nr. 264 vom 15.04.2020 hat die Südtiroler Landesregierung das Zugeständnis für den Sondermietbeitrag und Sonderbeitrag für Wohnungsnebenkosten auf eine viel größere Bevölkerungsgruppe ausgeweitet, begrenzt auf den Zeitraum des gesundheitlichen Notstandes. Leider ist die Maßnahme übermäßig und unnötig kompliziert zu lesen, mit einem Querverweis auf verschiedene, teilweise widersprüchliche Rechtsvorschriften. Und tatsächlich ist auf ebendiesen institutionellen Seiten der Autonomen Provinz zu lesen, dass "von den sonst geltenden Zugangsvoraussetzungen des DLH 30/2000 (z.B. persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen, Wohnsitz, ständigem Aufenthalt in Südtirol) abgesehen wird" und es ist unmöglich, dass ein deutschsprachiger Bürger dies missverstanden hat, weil auf denselben Seiten ebenso geschrieben steht "la prestazione è concessa in deroga ai normali requisiti d'accesso previsti dal DPGP 30/2000 (es. personali, economici, dimora stabile e residenza in Provincia di Bolzano". Dennoch ist ihm der Zuschuss nicht gegeben worden, da er ins AIRE-Register, dem Melderegister der im Ausland wohnhaften italienischen Staatsbürger, eingetragen ist und entsprechend auf dem Papier sein fester Wohnsitz nicht in Meran ist.
VNS: Eine Besonderheit in diesem Fall ist ja, dass der Sozialsprengel vom Antragsteller eine Zusatzerklärung verlangt hat, wo dieser eigenverantwortlich erklärt, dass er bei der Antragsstellung sich auch effektiv in seiner Wohnung in Meran aufgehalten hat. Der Antragsteller hat natürlich diese Zusatzerklärung abgegeben und ist trotzdem abgelehnt worden. Hat damit die öffentliche Verwaltung nicht noch mehr das Vertrauen verstärkt, dass der Antragsteller Zugang zu den außerordentlichen Sozialleistungen hat?
RA Boris Dubini: Ja, absolut! Nachdem der Bürger auf den offiziellen Seiten der Autonomen Provinz gelesen hatte, dass für die Bewilligung des außerordentlichen Beitrages der meldeamtliche Wohnsitz nicht berücksichtigt wird, hat er den entsprechenden Antrag (in deutscher Sprache) gestellt. Auf diesen hat dann der Sozialsprengel von Meran via E-Mail geantwortet (in italienischer Sprache) und unter anderem vom Antragsteller eine Bestätigung darüber verlangt, dass dieser sich im Moment der Antragstellung auch innerhalb des Sprengelgebietes aufgehalten hat. Der Bürger hat (in deutscher Sprache) die angeforderten Ergänzungen geliefert und die Verantwortliche für das Verfahren hat sich sogar für die Kooperationsbereitschaft bedankt: An demselben Tag hat dieselbe Verantwortliche den Antrag jedoch abgelehnt (mit einem italienischen Begründungsschreiben), wobei sie sich selber widersprach, indem sie die Ablehnung damit begründete, dass der Antragssteller nicht in Südtirol wohnhaft sei. Ein Schlamassel.
VNS: Herr Rechtsanwalt Dubini, sprechen wir über das Rechtsprinzip des "berechtigten Vertrauens". Hierzulande ist das Rechtsprinzip des Vertrauensschutzes jedenfalls unter einfachen Bürgern, die nicht Juristen sind, wenig geläufig. Was besagt es und welche Rechte erwachsen daraus für den Bürger?
RA Boris Dubini: Ich schicke voraus, dass in dem Fall, um den es hier geht, weniger der Grundsatz des "berechtigten Vertrauens" zum Tragen kommt, sondern andere Grundsätze, darunter die Grundsätze der "guten Verwaltungsführung sowie der Kohärenz der Aktivität der öffentlichen Verwaltung" und des allgemeinen Grundsatzes des "Handelns nach Treu und Glauben", ohne die Frage der Verletzung des Autonomiestatuts hinsichtlich der Sprache des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen. Das mittlerweile etablierte Prinzip des "berechtigten Vertrauens" bzw. Vertrauensschutzes schreibt der öffentlichen Verwaltung vor die subjektive Vorteilsposition eines bestimmten Bürgers zu schützen, die infolge entsprechender Schriftstücke oder Verhaltensweisen der öffentlichen Verwaltung entstanden ist, was mit anderen Worten bedeutet, dass wenn einem Bürger ein Recht oder ein Vorteil auf schriftlicher Basis (Verwaltungsbescheid/Verwaltungsmaßnahme) oder etwa aufgrund eines bestimmten Verhaltens der öffentlichen Verwaltung (stillschweigende Zustimmung) zugesprochen wurde, natürlich unter der Voraussetzung, dass der Bürger im guten Glauben gehandelt und nicht selbst zu dem Erlass eines bestimmten Verwaltungsbescheides beigetragen hat, es berechtigt ist, dass der betroffene Bürger die Ansicht vertritt, dass er das entsprechende Recht oder den entsprechenden Vorteil bereits erworben hat. Wenn nun aber die öffentlichen Verwaltung ihre Handlungsweise überdenkt, dann kann das Recht oder der Vorteil dem Bürger nicht ohne Weiteres durch einen entgegengesetzten Verwaltungserlass widerrufen werden, gerade deswegen, weil der Betroffene aus berechtigten Gründen darauf vertraut hat, in einer für ihn vorteilhaften Position zu sein bzw. nicht mehr angreifbar zu sein, zumal auch eine beachtliche Zeitspanne verstrichen ist. In diesen Fällen überwiegt somit nicht die "Autoritative Macht" respektive die Verfügungsgewalt, da das öffentliche Interesse mit dem Interesse des Privaten in Einklang gebracht wird, welcher entsprechend entschädigt werden muss, gesetzt dem Fall, dass die öffentliche Verwaltung beschließt, dieses Recht oder diesen Vorteil rückgängig zu machen. Aber Achtung: Der Grundsatz des "berechtigten Vertrauens" bzw. der Vertrauensschutz kann nicht vom falschen Zahnarzt, der einen gefälschten Studienabschluss vorgelegt hat (welcher dem Anschein nach ordnungsgemäß war), in Anspruch genommen werden, wenn er nach einigen Jahren der Ausführung der honorablen Tätigkeit auffliegt und angezeigt wird, da in diesem Falle die Voraussetzung des "guten Glaubens" nicht vorliegt und der Besitz eines gültigen Studientitels die ursprüngliche Voraussetzung für die Einschreibung ins Berufsalbum und somit den Beginn der Berufsausübung ist … und der Betroffene diesen Sachverhalt nicht hätte wissen können.
VNS: Um zu seinem Recht zu kommen sieht die Provinz Bozen zwei Instanzen vor: Zunächst eine interne Instanz in der Landesverwaltung. So kann der Bürger sich in schriftlicher Form an die "Sektion für Einsprüche" der Abteilung Soziales wenden. Diese Stelle prüft unter Ausschluss einer persönlichen Anhörung den betreffenden Fall und fällte eine Entscheidung über die Richtigkeit der Handlungsweise der eigenen Verwaltung. Das heißt, jene die über den Einspruch entscheiden sind selbst Angestellte der Verwaltung, die die Maßnahme oder die Leistung für den Bürger abgelehnt hat. Sehr unabhängig scheint dieses Verfahren nicht zu sein, dabei sollte doch jeder Bürger das Recht auf einen unparteiischen Richter zu haben?
RA Boris Dubini: Dem ist nicht so, denn das Prinzip zweier Rechtszüge ist nicht absolut und nicht unberührbar. In der Tat ist in verschiedenen Fällen die obligatorische oder fakultative Beschwerde an die übergeordnete Verwaltungsbehörde vorgesehen, also ein interner Rechtsbehelf, der von derselben öffentlichen Verwaltung geprüft und entschieden wird (die auch die Annullierung ihres eigen Aktes zum Selbstschutz vornehmen kann, wenn sie die Einwände des Beschwerdestellers für begründet hält), unbeschadet natürlich vom Recht des Betroffenen sich mit einem Rekurs an die ordentliche Gerichtsbarkeit zu wenden. Es sollte bedacht werden, dass die öffentliche Verwaltung, zumindest auf theoretischer Ebene, keine privaten Interessen verfolgt und Unparteilichkeit eine der Eckpfeiler für die Funktion des öffentlichen Dienstes ist. Zum Beispiel: Rechtsanwälte werden in erster Instanz vom Regionalen Disziplinarrat "beurteilt" und im zweiten Grad vom Nationalen Ausschuss der Rechtsanwaltschaft, es sind dies zwei Rechtsorgane, die sich jeweils aus Anwälten zusammensetzen, aber in letzter Instanz der Rechtsprechung haben die Vereinigten Sektionen des Kassationsgerichtshofes das Wort. Ein anderes Beispiel: Ein Autofahrer kann sofort nach der Zustellung einer Ordnungswidrigkeit mittels Rekurs sich an den Friedensrichter wenden oder an den Präfekten (Anm. d. R.: in Südtirol Regierungskommissar), und somit eine übergeordnete Autorität, die jedoch immer Teil der öffentlichen Verwaltung ist, ersuchen, das Vorhaltungsprotokoll annullieren zu lassen, unbeschadet natürlich, dass gegen eine Verfügung-Zahlungsaufforderung des Präfekten der Betroffene sich letztlich an ein Gericht bzw. an einen Richter wenden kann. Mit anderen Worten, die öffentliche Verwaltung ist in der Lage, vielleicht mehr als ein Richter und sehr oft auch schneller, unmittelbar die Qualität der eigenen Maßnahme unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses, der Gesetze und des Interesses der verwickelten Privatperson zu beurteilen, um so postwendend zu entscheiden, ob der Akt annulliert oder bestätigt werden soll. Die allgemeine Erfahrung zeigt, dass fast alle Beschwerden abgelehnt werden, aber es ist offensichtlich, dass viele Bürger trotzdem versuchen, eine Anfechtung an die übergeordnete Verwaltungsbehörde vorzunehmen, zumal sie auf das fast vollständige Fehlen von Gebühren und Auslagen vertrauen, im Gegensatz zu dem, was bei einem Rekurs vor einem Richter bzw. einem Gericht geschieht, bei dem die Zahlung einer Einheitsgebühr vorgesehen ist, welche durchaus einen erheblichen Betrag ausmachen kann und die im Verhältnis zu den mit der Beschwerde verbundenen wirtschaftlichen Interessen auch unverhältnismäßig zur Höhe des Streitwertes stehen kann.
VNS: Scheitert der Bürger innerhalb dieser internen Prüfstelle der Landesverwaltung, dann kann der gescheiterte Antragsteller sich innerhalb 60 Tagen mit einem Rekurs an das Verwaltungsgericht - Autonome Sektion für die Provinz Bozen wenden. Der Bürger muss ein reguläres Verwaltungsgerichtsverfahren einleiten, braucht somit zunächst mal einen Anwalt und dann wird es in der Regel sehr teuer. Zu den Gerichtsgebühren kommen in der Regel noch die Anwaltskosten hinzu. Die meisten Antragsteller werden wohl an diesem Punkt scheitern und verzichten auf ein entsprechendes verwaltungsgerichtliches Rekursverfahren. Steht diese Vorgangsweise in Südtirol nicht im Widerspruch zum Recht des Bürgers auf eine effektive Beschwerde?
RA Boris Dubini: Zunächst kann ich sagen, dass das Verfahren auf dem gesamten Staatsgebiet ähnlich ist und Südtirol somit weder ein herausragendes noch ein besonders mangelhaftes Beispiel darstellt. Das Problem ist grundlegend: Das Verwaltungsverfahren darf nicht unvollständig oder missverständlich beginnen, es erfordert von Anfang an Klarheit damit von vorne herein verhindert wird, dass der Bürger in die Irre geführt und eine Erwartung gebildet wird, auf die er, möglicherweise, keinen Anspruch hat. Im vorliegenden Fall hätte der Beschluss der Landesregierung klar sein müssen, ohne auf derart komplizierte Bestimmungen zu verweisen, dass die öffentliche Verwaltung selbst fehlgeleitet wurde, welche dem Bürger (vielleicht) falsche Informationen geliefert hat. Es wäre nicht allzu kompliziert gewesen, zu schreiben, dass der Sonderbeitrag nur bestimmten Personenkategorien vorbehalten ist und diese Information hätte man eine klare und genaue Auflistung folgen lassen können. Auf gleiche Weise wäre es ein Muss des Sozialsprengels von Meran gewesen, das Autonomiestatut zu respektieren und mit dem betroffenen Bürger in seiner Muttersprache und nicht in der Sprache des für den Vorgang Zuständigen zu kommunizieren, mit dem erschwerenden Umstand, dass auch in italienischer Sprache die Erwartungen des Interessenten unnötig genährt wurden, weil vielleicht nicht einmal der Beamte verstanden hatte, ob der Antragsteller die Voraussetzungen für den Zuschuss hatte oder nicht.
VNS: Herr Rechtsanwalt Dubini, wie schätzen Sie letztendlich eine öffentliche Verwaltung ein, die in einer Notstandssituation, wie jener der Corona-19-Epedemie ihren Bürgern großspurig Sozialleistungen verspricht, welche schlussendlich von der Verwaltung dann nicht gewährleistet werden?
RA Boris Dubini: Mein abschließende Beurteilung ist, dass die Prinzipien des "Guten Glaubens", der Kohärenz und Transparenz bereits bei der Verabschiedung der Bestimmungen, die für die schwächsten Schichten bestimmt sind, respektiert werden sollten, oder aber mit anderen Worten diejenigen respektieren sollte, die die öffentliche Verwaltung benötigen und die der öffentlichen Verwaltung am meisten vertrauen. Meiner Ansicht nach war die Veröffentlichung der Informationen auf den offiziellen Seiten der Autonomen Provinz, die (vielleicht) nicht mit der Maßnahme der Landesregierung übereinstimmen, nicht das Ergebnis eines Fehlers: Es wurde enorm viel Werbung für eine Sonderunterstützungsmaßnahme zum Einkommen gemacht, welche die Menschen glauben ließ, dass beinahe jeder Anspruch auf solche Beträge hätte, nur um dann die verschiedenen Bestimmungen der Gesetzgebung in Verbindung miteinander buchstabengetreu anzuwenden und die Anträge der Bürger, die daran geglaubt hatten, ohne Vorwarnung abzulehnen. Abschließend halte ich es für erforderlich nochmals darauf hinzuweisen, was auf der Internetseite geschrieben steht: "Von den sonst geltenden Zugangsvoraussetzungen des DLH 30/2000 (z.B. persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen, Wohnsitz, ständigem Aufenthalt in Südtirol) wird abgesehen" und mit anderen Worten (besser noch: in einer anderen Sprache): "la prestazione è concessa in deroga ai normali requisiti d'accesso previsti dal DPGP 30/2000 (es. personali, economici, dimora stabile e residenza in Provincia di Bolzano". Klarer als so, kann es nicht sein.
VNS: Danke Herr Dubini fürs Interview.
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