In der Nacht auf Mittwoch sind auf Anordnung der Staatsanwaltschaft der Stadt Verbania am Lago Maggiore drei Verantwortliche der Seilbahn Mottarone festgenommen worden. Dabei handelt es sich um den Eigentümer der Betreibergesellschaft der Seilbahn “Ferrovie del Mottarone” Luigi Nerini, den für die Bahnanlage verantwortlichen Betriebsdirektor Enrico Perocchi sowie den Cheftechniker Gabriele Tadini. Sie haben mittlerweile Geständnisse abgelegt. “Sie haben gestanden, dass sie die Notbremse manipuliert haben”, berichtete ein Ermittler im Interview mit RAI 3. “Es gab Störungen in der Seilbahn. Die Wartung wurde eingeschaltet, sie hat das Problem nicht oder nur teilweise gelöst. Um weitere Betriebsunterbrechungen zu vermeiden, entschied man sich, die ‘Gabel’ an Ort und Stelle zu belassen, wodurch die Notbremse nicht funktionieren kann”, berichtete der Ermittler. Nicht ausgeschlossen wird, dass Ermittlungen gegen weitere Personen aufgenommen werden könnten.
Hart in ihren Äußerungen auch Olimpia Bossi, die leitende Staatsanwältin von Verbania. Sie weist darauf hin, wie Luigi Nerini, Enrico Perocchi und Gabriele Tadini aus rein wirtschaftlichen Gründen bewusst gehandelt haben. Die Anlage sollte trotz vorhandener technischer Probleme in Betrieb bleiben. Den drei Festgenommenen wird zur Last gelegt, die Notbremse der Seilbahn außer Betrieb gesetzt zu haben, nachdem es am Samstag – einen Tag vor dem Unglück – zu einer Dienstunterbrechung gekommen war. Laut den Ermittlern wurde der Spreizer der Notbremse, die die Kabinen im Falle eines Bruchs eines Seils blockieren sollte, nicht entfernt, um “eine Störung und Blockierung” der Seilbahnanlage zu vermeiden. Damit funktionierte die Notbremse nicht. Der Strafvorwurf wird nun von Totschlag auf den Art. 437 des Strafgesetzbuches erweitert, welcher Strafen vorsieht, wenn absichtlich Schutzeinrichtungen an Maschinen manipuliert werden, dies mit der Verschärfung, dass die absichtliche Manipulation, konkret das Unwirksammachen der Notbremse, zu einer Katastrophe führte bei der am vergangenen Sonntag 14 Menschen ihren Tod fanden.
Als das Zugseil riss und die Seilbahnkabine mangels der absichtlich außer Betrieb gesetzten Notbremse ungebremst am Tragseil Richtung Tal rollte, war die Kabine nur fünf Meter von ihrem Ziel entfernt, wurde langsamer, das Törchen auf der Bergstation öffnete sich bereits, um die Kabine in der Station zu empfangen. Dann habe es einen lauten Knall, ähnlich wie ein Peitschenschlag gegeben. Das Seil riss, schlug noch einmal hoch in die Luft. Anschließend raste die Seilbahngondel ungebremst und mit immer schneller werdender Geschwindigkeit auf den ersten Stützpfeiler zu, wo, aufgrund der Wucht, die Kabine samt ihren Insassen aus der Spur am Tragseil gerißen und über 50 Meter in Tiefe geschleudert wurde. Die Kabine überschlug sich mehrmals bevor sie an Bäumen eines angrenzenden Waldes zerbarst.
In der Seilbahn-Kabine befanden sich 15 Personen. Nur ein Insasse, Eitan, ein fünfjähriger Bub, überlebte schwer verletzt. "Als der Fünfjährige im Krankenhaus eingeliefert wurde, war der Zustand kritisch. Aber er war bei Bewusstsein. Sehr verängstigt, er rief nach Hilfe und hatte große Schmerzen. Die OP verlief gut und Eitan ist außer Lebensgefahr", erzählte der Generaldirektor des Turiner Universitätskrankenhauses Giovanni La Valle gegenüber Medien. Eitans Eltern, sein zweijähriger Bruder, seine Urgroßeltern sind tot. Besonders dramatisch: In den letzten Sekunden ihres Lebens haben die Eltern ihren Sohn gerettet. "Die Eltern des Fünfjährigen haben ihre Kinder in den letzten Sekunden schützen wollen, haben sie umarmt. Der ältere Sohn konnte so überleben", sagte ein Feuerwehrmann gegenüber newsby.it.
Die Staatsanwaltschaft der Stadt Verbania am Lago Maggiore hatte am gestrigen Dienstag das Video einer Überwachungskamera beschlagnahmt, das den Unfall zeigt. Darauf sei zu sehen, wie ein Seil riss und die Kabine kurz vor der Bergstation am Monte Mottarone westlich des Lago Maggiore talwärts abstürzte.
Nach Angaben des Sterzinger Seilbahnbauers Leitner, welcher für die Wartungsarbeiten der Seilbahn verantwortlich ist, wurde am 3. Mai die hydraulische Bremsanlage der Seilbahnkabinen gewartet. Auch bei der letzten magnetinduktiven Seilprüfung im November 2020 seien "keine Unregelmäßigkeiten" festgestellt worden, eine Notfallübung mit einem simulierten Kabelriss und Notbremsenaktivierung sei im Dezember erfolgreich verlaufen. Das Unternehmen wies darauf hin, dass die täglichen und wöchentlichen Kontrollen in der Verantwortung der Betreibergesellschaft Ferrovie del Mottarone liegen.
Seilbahnen in ganz Italien waren im Zuge von Lockerungen der Corona-Beschränkungen erst am Samstag wieder in Betrieb genommen worden. Die bei Touristen beliebte Mottarone-Seilbahn verbindet in 20 Minuten Stresa mit dem fast 1.500 Meter hohen Mottarone, der einen spektakulären Blick auf den Lago Maggiore und die Alpen bietet. Wegen Wartungsarbeiten war die Seilbahn zwischen 2014 und 2016 geschlossen.
Das Unglück vom Pfingstsonntag ist das schwerste Seilbahnunglück in Italien seit 1998, als ein tieffliegender Jet der US-Luftwaffe das Kabel einer Bahn in Cavalese in den Dolomiten durchtrennte. Damals starben beim Absturz der Gondel 20 Menschen.