Proteste gegen neue Corona-Maßnahmen

Italienische Metropolen als Schauplatz von gewalttätigen Ausschreitungen

"Ein Gespenst geht um in Europa". Nur in diesem Falle handelt es sich nicht um eine Lehre zur revolutionären Umgestaltung der Gesellschaftsordnung, auch wenn das die Thematik in gewisser Weise streift, sondern um ein Virus, dass unsichtbar und kaum greifbar zu sein scheint und dennoch Europas Gesundheitssysteme und Ökonomien sowie die Freiheit des Einzelnen "heimsucht". Covid-19, Corona oder Sars-CoV-2: Synonyme die ein- und dasselbe Gespenst benennen. Die zweite Welle der Pandemie trifft viele Länder in Europa ungeahnt hart: Spanien ruft den Notstand aus, Frankreich meldet, dass erstmals seit Beginn der Pandemie binnen 24 Stunden mehr als 50.000 neue Corona-Infektionen registriert worden sind. Die Gesundheitsbehörde zählten am 25. Oktober 52.010 neu erfasste Ansteckungen. In zahlreichen Ländern Europas gelten daher seit dem 26. Oktober neue schärfere Maßnahmen, die die Eindämmung des Virus bewirken sollen.

Ausschreitungen bei Protesten in italienischen Metropolen

Auch Italien hat neue Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 eingeführt: Unter anderem müssen landesweit alle Restaurants und Bars um 18.00 Uhr für Gäste schließen. Auch Kinos, Theater, Fitnessstudios, Bäder, Skiresorts und Konzerthallen dürfen nicht mehr öffnen. Ein Großteil der italienischen Gymnasialschüler wird vorerst online unterrichtet und es besteht eine Ausgangssperre zwischen 23 bis 5 Uhr. Allerdings sind die Reaktionen auf diese Maßnahmen nicht mehr so einheitlich wie noch im vergangenen März. Während bei der ersten Welle der Pandemie die Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen hingenommen und sogar den Lockdown überwiegend respektiert hat, gibt es nun Proteste gegen die neuen Maßnahmen. Zwei Fallbeispiele bieten hierbei Neapel und Rom.

In ganz Italien steigen die Infektionszahlen rasant an: Insgesamt wurden in Italien gestern 19.000 neue Infektionsfälle gemeldet. Am stärksten betroffen ist, wie bereits im Frühjahr, die Region Lombardei mit der Metropole Mailand. Auch dort gilt aktuell eine Ausgangssperre.

Fallbeispiel Neapel: Es brodelt am Fuße des Vesuvs

Während die Region Kampanien von der ersten Covid-19-Welle im Frühjahr kaum betroffen war, hat sie jetzt die zweithöchste Infektionsrate in Italien. Aktuell sind in der Region knapp 15 Prozent aller Coronatests positiv. Der Anstieg in Neapel und Umgebung ist besonders besorgniserregend, da die Region schlecht mit Intensivbetten ausgerüstet ist.

In der Region Kampanien waren am 23. Oktober 2.280 Neuansteckungen innerhalb eines Tages gemeldet worden, wie Vincenzo De Luca, Regionalpräsident Kampaniens, in den Social Media mitteilte. Am Vortag waren es noch 1.541 gewesen. Bereits seit Freitag gilt eine Ausgangssperre von 23 Uhr bis 5 Uhr. "Wir werden nun alles schließen", sagte De Luca. Der Lockdown könne von einem Monat bis hin zu 40 Tagen andauern. "Die Tragödie ist nur einen Schritt entfernt", warnt de Luca. De Luca rief auch dazu auf, einen landesweiten Lockdown zu verhängen.

Als Reaktion auf die von De Luca verhängten Maßnahmen, die am 24./25. Oktober in Kraft treten sollten, gingen im Stadtzentrum hunderte von Leuten auf die Straße, um ihren Protest gegen die Ausgangssperre auszudrücken. Vor dem Sitz der Regionalregierung kam es zu Auseinandersetzungen der Demonstranten mit Ordnungskräften, Feuerwerkskörper wurden gezündet und Streifenwagen der Polizei wurden in Mitleidenschaft gezogen.

Fallbeispiel Rom: Es brennt in der ewigen Stadt

In der Hauptstadt wurden die ohnehin strengen Regeln dahingehend erweitert, dass zusätzlich ab 21 Uhr Orte abgeriegelt werden, die beliebte Ausgehtreffpunkte von Jugendlichen sind, wie der Campo de' Fiori. Auch in der ewigen Stadt Rom ist es zu gewaltsamen Protesten gegen die strengeren anti-Covid-Maßnahmen gekommen. Bei den Ausschreitungen wurden in der Nacht zum 25. Oktober mehrere Menschen festgenommen. Medienberichten zufolge warfen Demonstrierende im Stadtzentrum u. a. Feuerwerkskörper auf Polizisten/innen. Als Verstärkung anrückte, wurden sogar Einsatzwagen beschädigt und Müllcontainer angezündet. Zwei Polizisten erlitten den Berichten zufolge Verletzungen, mindestens zehn Demonstrierende wurden festgenommen.

Feststeht, dass die Proteste nicht genehmigt waren und sie in gewisser Weise einer politischen Motivation folgten, denn die neofaschistische Partei Forza Nuova ist Initiator und Organisator dieser Protestaktion. Sie war auch an den gewaltsamen Protesten am 23. Oktober in Neapel nicht nur mittelbar beteiligt. Roberto Fiore, Forza Nuova-Chef, twitterte am 26. Oktober, die italienischen Lebensgrundlagen werde "im Namen einer ‚Pseudo-Pandemie‘ geopfert". „Die Italiener zeigen, dass sie Einschränkungen und wirtschaftliche Euthanasie im Namen einer 'Pseudo-Pandemie' nicht länger tolerieren können", so Fiore abschließend.

Aber hiermit nicht genug: Am Abend des 26. Oktober gingen die Proteste weiter, denn auch in Turin und Mailand gingen zahlreiche Menschen gegen die Regeln zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf die Straße. Die Polizei habe, laut Medienberichten, unter anderem Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt, die aufgebracht mit Steinen und Flaschen warfen.

Das Ergebnis der Proteste sind teils "bürgerkriegsähnliche Zustände" mit eingeschlagenen Fensterscheiben in Einkaufspassagen und der Plünderung von Geschäften.

Aber auch in weiteren italienischen Städten wie in Pescara, Catania,  Lecce und Verona sind in den vergangenen Tagen Demonstrationen gegen die Covid-19-Dekrete der Regierung in Gewalt umgeschlagen, wobei relativierend gesagt sei, dass nicht nur die Bevölkerungen italienischer Metropolen sich gegen die neuen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie erheben, sondern es auch Proteste in London oder Berlin gegeben hat.

Nur Anti-Covid-19-Proteste oder verbirgt sich dahinter noch mehr?

Was eint die Proteste?, könnte man nun fragen. Natürlich ist das einende Moment in der gemeinsamen Angst um die eigene Existenz zu suchen, und zwar auf wirtschaftlicher Ebene. Nach dem ersten Lockdown, der viele Volkswirtschaften, auch die italienische Volkswirtschaft, hart getroffen hat, überwiegt die Angst der Menschen um ihr wirtschaftliches Überleben. Selbstständige, klein- und mittelständische Unternehmen, aber auch Arbeitssuchende machen sich Sorgen um ihre Zukunft, denn es gibt ein morgen nach Covid-19. Von dieser Situation profitieren Bewegungen und Parteien, die wie die neofaschistische Partei Forza Nuova, kein Interesse daran haben deeskalierend zu wirken, sondern die die Proteste unterstützen und Öl ins Feuer gießen.

Christian Lüth, Pressesprecher der AFD-Bundestagsfraktion, hat in einem vermeintlich vertraulichen Gespräch am 23. Februar 2020 gesagt: "Je schlechter es Deutschland geht, desto besser ist es für die AFD." Ganz nach diesem Motto müssen auch die Proteste in den italienischen Metropolen interpretiert werden, denn Soziologen erklären, dass rechtsextreme Gruppierungen den Versuch unternehmen, den allgemeinen Unmut der Bevölkerung zu instrumentalisieren und zu den Repräsentanten dieser Proteste zu avancieren.

Die Gewaltexzesse dürfen allerdings nicht nur als Produkt organisierter Gruppen betrachtet werden, denn die Covid-19-Pandemie trägt auch dazu bei, dass die Kluft zwischen Arm und Reich weiter auseinanderdriftet, sodass auch zahlreiche junge Krisenverlierer über die Sozialen Netzwerke ihre Frustration und Wut zum Ausdruck bringen und teilweise die Massen mobilisieren.

Die Proteste vereinen diese gewaltbereiten Krisenverlierer mit dem Anti-Corona-Maßnahmen frustrierten Mittelstand: Restaurantbesitzer und andere Kleinunternehmer, denen ihre Existenzgrundlage wegbricht.

Kleine rechtsextreme Gruppen werden zwar wohl kaum von den Protesten profitieren, aber dennoch müssen diese Unmutsäußerungen ernst genommen werden, denn es besteht die Möglichkeit, dass die institutionelle Rechte erstarkt, die den protestierenden sozialen Gruppen nahesteht.

VOX News Südtirol / Ninja Brockmann