SVP und Lega Südtirol haben ihre Regierungsvereinbarung und somit das für die Legislaturperiode 2018-2023 beschlossene Koalitionsprogramm in neun Kapiteln aufgeteilt. VOX-NEWS-Südtirol-Herausgeber Christian Masten hat sich die 58 Seiten starke Vereinbarung aufmerksam durchgelesen und bereits festgestellt, dass in dieser Vereinbarung außer guten Willenserklärungen (siehe Kommentar "Viel heiße Luft um wenig" vom 10. Januar 2019) recht wenig Inhalt vermittelt wird. Nachstehend eine genauere Analyse der ersten fünf Kapitel.Kapitel 1 - Eine Politik für die Menschen - die Menschen zuerst Unterkapitel: Junge Menschen, ältere Menschen, Freunde und Männer, Familie, Menschen mit Beeinträchtigung, Bürgerbeteiligung In diesem ersten Kapitel der Regierungsvereinbarung zwischen Südtiroler Volkspartei und Lega Südtirol fehlen gänzlich Vorschläge für konkrete Maßnahmen. Kein Wort über echte Förderung für die Anstellung und Beschäftigung von Jugendlichen in Unternehmen durch neue Sozialgesetze. Keine eigene "Südtiroler Maßnahme" zur sofortigen Beseitigung der beschämenden Mindestrente in Italien durch eigene Südtiroler Initiativen und die Anerkennung von Ausgleichszahlungen etwa auf Niveau nordischer Länder. Jeder Rentner, jede Rentnerin in Südtirol muss es leidtun, sein / ihr Geld nicht in Österreich oder Deutschland einbezahlt zu haben für seine bzw. für ihre Rente, denn dann würde von der Rente sehr viel mehr erhalten bleiben und nicht in den korrupten Sumpf im Süden des Stiefelstaates fließen. Kein Wort über Sofortmaßnahmen für eine echte Familienförderung, wie Kindergeld nach nordischen Musterländern, wo pro Kind unabhängig vom Einkommen zwischen 150 und 200 Euro bezahlt wird, pro Monat und Kind und dies bis zum 18. Lebensjahr. Übrigens seit Jahren findet sich diesbezüglich auch kein Wort in der gesamten Südtiroler Presse. Es wird nur wiedergegeben, was die Politiker, Verwalter und Verbände von sich geben. Kapitel 2 - Für ein friedliches Zusammenleben. Unterkapitel: Heimat Südtirol, Kunst und Kultur, Zusammenleben der Sprachgruppen, Migration, Integration Ich frage mich ernsthaft, wie das funktionieren kann mit einer Lega in Rom, die alle vorherigen Bemühungen für eine Integration der Flüchtlinge zunichtemacht, indem man den Geflüchteten praktisch kein Anrecht mehr auf Ausweise und Dokumente gibt, einschließlich all der menschenunwürdigen Maßnahmen der letzten Wochen eines offensichtlich vollkommen "überdrehten" Innenministers Salvini, wo selbst letzthin der Papst sich nun mehrfach öffentlich gegen die von der Lega angestrebten Maßnahmen geäußert hat und die Bürgermeister der größten Städte Italiens auf die Barrikaden gehen. Ich frage mich, wie kann die Südtiroler Volkspartei hier den Kopf in den Sand stecken? Keine Andeutung in der Regierungsvereinbarung für ausgleichende Maßnahmen. Kein Wort über unsere besondere Verbindung zu unserem Mutterland Österreich, der Forderung nach dem Doppelpass und auch der Bereitschaft der gegenwärtigen österreichischen Regierung diesen berechtigten Südtirolern zu geben. Kein Wort bezüglich Integration im Allgemeinen und Heimat. Nicht angesprochen wird genau so, dass noch immer "nur" etwa 30 Prozent unserer jungen italienischen Mitbürger deutsch verstehen und sprechen. Kein gutes Zeugnis für unsere viel gepriesene Autonomie. Kapitel 3 - Für ein stabiles und starkes Südtirol Mit den Unterkapiteln: Mehrwert Autonomie, Ausbau der Autonomie Das wichtigste Kapitel über den Mehrwert ist gerade mal 15 Zeilen lang. Auch hier keine längst schon fällige "Ohne-Wenn-und-Aber-Forderung" bei den seit 30 Jahren fehlenden weiteren primären Gesetzgebungskompetenzen, wie Soziales, Sanität, Schule, Umwelt, angehende Ordnungs- und Sicherheitskompetenzen, Steuerhoheit usw.. Die erfolgreiche Autonomiearbeit der SVP-Gründerväter sollte endlich weitergeführt werden. Es werden als Vorhaben, ausgenommen die Umwelt, nur einzelne Detailkompetenzen aufgezählt. Das Schlimmste jedoch ist, man vereinbart die Übernahme der Verwaltung des INPS- und Steuerpersonals samt Steueragenturen ohne die Kompetenzen selbst inhaltlich dem Staate abzuringen. Arme Bürger, wenn auch hier italienische Übertreibungsgesetze samt Höchststrafen mit Südtiroler Beamtenverwaltung kommen werden. Es wäre an der Zeit, dass wir endlich 100prozentige Steuerhoheit verlangen. Unsere Politiker spielen jedoch lieber Nikolaus mit unseren Steuergeldern, zuletzt über die Rentenvorschusszahlungen für Landtagsabgeordnete auch in die eigene Tasche. Selbst verantwortlich sein für die Steuergesetze wollen sie aber nicht. Ein wahres Paradies, welches sich die Politiker hierzulande geschaffen haben, während die Informationen darüber für uns Bürger mehr als unerträglich sind und zudem für gar manchen Rentner und Minderbemittelten, für gar manche Rentnerin und Minderbemittelte zum wahren Drama werden. Dabei kann festgestellt werden: Jedes Bundesland in Deutschland hat ein Mehrfaches an Autonomie, an primärer Gesetzgebung und zusätzlich entscheidendes Mitspracherecht über den Bundesrat in die bundesweite Gesetzgebung. Wir hier in Südtirol kommen keinen Schritt weiter, weil wir einfach nicht über die fehlenden primären Gesetzgebungskompetenzen, wie Soziales, Sanität, Schule, Umwelt und Steuer usw. energisch einfordern. Eine solche Forderung würde auch einer wahren Interpretation des Pariser Abkommens entsprechen. Aber so lange die derzeitige SVP-Führung weiter in Sachen Autonomie auf politische Souffleusen, wie Karl Zeller & Co hört, samt der dazu gehörenden Unterberger-Dynastie und einer neuen Art von "Onorevoli" und Senatoren in Rom, die monatlich Gehälter bis zu 20.000 Euro netto samt Nebenleistungen in einem Zentralstaat wie Italien einstreichen, so lange wird gegenüber dem Staat der echte Kampf und Einsatz für eine Verwirklichung und Umsetzung einer echten vollständigen Autonomie für uns Südtiroler gänzlich fehlen. Kapitel 4 - Für ein gemeinsames Europa der Regionen Unterkapitel: Südtirol in Europa, Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino, Internationale Zusammenarbeit Es ist ganz klar das Lieblingskapitel von Landeshauptmann Arno Kompatscher, welcher bei jeder Bürgerversammlung die mehrheitlich "leere Hülse" der Europaregion hochleben lässt. Verbunden mit dieser Vision oder mehr noch Projektion einer funktionierenden Europaregion, ist jedoch das Alibi für Politiker all die anderen möglichen konkreten Autonomierechte und Kompetenzen vom italienischen Staat eben nicht einfordern zu müssen. Letztlich nützen und interessieren dem Bürger nicht schöne flügelhafte Worte, sondern das was dieser für sein Leben tagtäglich als notwendig erachtet. Und das sind die Themen Soziales, Steuer, Sanität, Rente, Fürsorge, Umwelt und Lebensstandard. Diese Themen können nur in einer echten Autonomie vollständig gestaltet werden. Diese echte Autonomie fehlt uns aber. Mit der Regierungsvereinbarung ist die politische Ausrichtung der neuen Landesregierung bis 2023 festgelegt. Somit ist nicht nur eine Chance verpasst worden sondern es vergehen weitere Jahre der Nichtweiterentwicklung. Seit dreißig Jahren haben wir in Südtirol keine neuen primären Gesetzgebungen erhalten. Nach wie vor müssen wir uns mit Italien verständigen, wenn es um die Bereiche Umwelt, Soziales, Rentenkompetenz, Steuern, Sanität und Schule usw. geht. Kein Wort auch hier zur Rolle Österreichs. Kein Sterbenswörtchen zur Doppelpass-Frage und der immerhin von der österreichischen Regierung angedachten Möglichkeit, dass Südtiroler und Südtirolerinnen sich auch zu Österreich bekennen sowie die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen können, gleich wie sich derzeit angesichts des in diesem Jahr bevorstehenden Brexits problemlos viele Nordiren zu europäischen Iren bekennen können und zusätzlich zu ihrer britischen Staatsbürgerschaft, die irische Staatsbürgerschaft und somit jene eines europäischen Mitgliedslandes erhalten. Kapitel 5 - Für ein lebenswertes Südtirol Unterkapitel: Ordnung und Sicherheit, Gesundheit, Pflege, Rente und Vorsorge, Sozialpolitik, Prävention, Sport, Ehrenamt, Verbraucherschutz Hier werden die Bereiche und möglichen Maßnahmen beschrieben im Bereich Gesundheit, Ordnung und Sicherheit, Pflege, Rente und Fürsorge, Sozialpolitik, Prävention, Sport, Ehrenamt, Verbraucherschutz. Ein wahrhaftes Sammelsurium von sehr gut klingenden und schönen Vorhaben. Vieles davon wird aber nur auf den Prüfstand gestellt, so dass man es über die Legislaturperiode hinweg studieren kann und nicht lösen muss. Die Wartezeiten im Bereich Sanität für Facharztvisiten haben sich seit 1990 extrem weiter verschlechtert. Bis zu einem Jahr wartet man in gewissen Fachbereichen. Bis zur dringend benötigten Facharztvisite ist man folglich entweder tot, noch viel kranker oder – seltener der Fall – über die langen Warten wieder von alleine gesund geworden. Letzteres war Sarkasmus. Die Schaumschlägerei – in Wirklichkeit ein Unding – rund um die geplante Einführung eines zentralen Vormerksystems wird märchenhaft weiter als Lösung der Wartezeiten propagiert. In anderen Ländern stellt man sich total um auf ein direktes Vormerksystem. Das heißt, der Patient ruft die jeweilige Abteilung des jeweiligen Krankenhauses an und bekommt direkt einen Termin zugeteilt. Die zugeteilten Fachärzte kennen oft schon den Patienten, die Krankenakte, den Arzt, den der Patient bisher gehabt hat, und man optimiert somit das Zuteilungsverfahren. Ein solches Vorgehen maximiert die notwendige Autonomie der fachärztlichen Abteilungen und deren Kompetenz. Echt fachlich kompetentes Personal betreut dabei diese Vormerkungen. Es handelt sich hierbei um Sekretariatskrankenschwestern in den jeweiligen Facharztabteilungen. So etwa funktioniert es hervorragend organisiert und umgesetzt in der Uniklinik in Innsbruck und eigentlich überall dort, wo Sanität mit Erfolg gemacht wird. Auch das Geschwafel von Arztgemeinschaftspraxen bringt nichts, denn der Allgemeinarzt – im Unterschied zu Österreich und Deutschland – ist in Südtirol-Italien nichts anders als ein besserer "Medikamentenverschreiber" und "Medizinbürokrat", der über keinerlei Apparaturen und Untersuchungsgeräte besitzen darf, um sofort fachärztliche Visiten vornehmen zu können. Ich prophezeie: Die Facharztvisiten mit Wartezeiten bis zu einem Jahr werden weiterhin in Südtiroler Krankenhäusern bestehen bleiben und letztlich passiert nichts oder nicht viel. In anderen Ländern werden die Facharztvisiten zur Gänze von den Krankenkassen bezahlt und Großteils von privaten Fachärzten innerhalb einer Woche abgewickelt. Aber darüber spricht die Südtiroler Politik nicht, ebenso wenig wie die einheimische Presse offensichtlich nicht mitbekommt (oder nicht mitbekommen will), wie gut und insbesondere warum man im benachbarten Ausland so gut organisiert und aufgestellt ist. Es gäbe wahrhaftig einen Volksaufstand über den Missstand in der Südtiroler Sanität, wüssten die Südtiroler, wie Sanität im Ausland erfolgreich und bürgerfreundlich organisiert und gehandhabt wird. Man will sich für eine Anhebung der Mindestrente einsetzen: in Rom. Welcher wahrhaftige Einsatz für die armen Mindestrentenempfänger? Statt endlich mit Südtiroler Steuergeldern jenen Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, eine würdige Ausgleichszahlung zu verschaffen, schwafelt man etwas vom Einsatz in Rom. Für die zahlreichen armen Mindestrentner im Lande ist diese politische Vision (Verhandlungen in Rom) ein wahrer Frevel. Kein Wort in der Regierungsvereinbarung auch über eine Südtiroler autonome Krankenversicherung und Altersfürsorge. Kein Wort darüber, dass es im benachbarten Ausland kein Ticket gibt, also eine Teilzahlung von Seiten des Patienten. Es ist unerklärlich, dass die Südtiroler auf EU-Ebene höchste Krankenkassabeiträge einzahlen, welche im IMPS-Beitrag integriert sind, und dann noch Tickets zahlen müssen, wo in unseren Nachbarländern bei gleichen bzw. ähnlichen Beitragssätzen keine Selbstbeteiligung verlangt wird! Herzlichst Ihr Christian Masten Lesen Sie morgen auf VOX NEWS Südtirol eine Analyse der Kapitel 6 bis 9 der Regierungsvereinbarung zwischen SVP und Lega Südtirol. Sollten Sie Interesse an der gesamten Regierungsvereinbarung haben, können Sie diese hier im Original downloaden (Regierungsvereinbarung 2018-2023).E-Mail an den Herausgeber: christian.masten@voxnews.online