Karin Renee Egger

Der Lauterfresser in seinem Verlies

Zum Zerberus, du Teufelsbrut! Hier sitz' ich nun, ich armer Tor… - Was heißt hier "sitz", ich neige zur Verniedlichung, wenn ich nicht gerade am Daumenstock hänge wie an einer lästig gewordenen Gewohnheit. Was ich hier tue ist: verfaulen, verkrümeln und mich winden von der rechten Kerkerseite zur linken.

Folterungen im Mittelalter und der Eingang zum Lauterfresserloch in der Kandelburg

Die rechte, ach so hübsche, plättet sich gnädig vor meiner Stirn wie das berüchtigte Brett vor'm Kopf, und die linke entblößt sich schamlos und aufrührerisch in zwei Metern Entfernung, Exhibitionistin. Ich würde mich nicht von der Stelle rühren, selbst wenn ich könnte.

Was heißt hier "geschlafen"! Mag ja sein, Skorpione sind des Teufels Butler, in all ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen und Fortbewegungstechniken – in so mancher Stunde amüsierend unterschiedlichen, wie ich zugeben muss – aber meines intimen Kreises sind sie ganz sicher nicht, und solange diese Viecher ihre Grenzen kennen, kann ich trotz ihrer schnaufen. Ja, sagen wir: mehr hecheln, keuchen.

Seit der letzten Folterung ist es ein armseliges Gekeuche, das, was sich da in unregelmäßigen Abständen aus meiner Brust herauswürgt. Ich sah mit den beiden schwarzen Dingern schon mein letztes Stündl schlagen. Aufziehen haben sie mich wollen wie eine Kuckucksuhr, diese unseligen Fossilien. Und singen hätte ich auch noch sollen, eine Arie anstimmen, zur allgemeinen Erheiterung. Ha, da hatten sie sich getäuscht, und wenn ich nicht so aufgezogen gewesen wäre, hätte ich ihnen meine Zunge herausgestreckt, diese mit dem berühmten Schnitz – ja, ja, das ist meine Zunge, da staunt ihr, was? Ich hätte sie ihnen herausgeschleudert wie ein Chamäleon und damit auf Schgrafers schmuckes Kleidchen gespuckt! Ganz im Ernst und unter uns: mein stigma diabolicum ist natürlich ganz anderer Natur, aber dennoch: ich hätte es ihnen vorgeführt, in seiner ganzen Pracht, diesen naiven, scheinheiligen aaligen… ja, ja, ich weiß. Sie tun ihre Pflicht ergebenst und untertänigst im Namen der Gerechtigkeit.

Ein Wurm erkundet im Voraus mein Schienbein, zu früh, mein Freund. Außerdem kann ich das nicht leiden. Ich mag keine Schleicher und Schmarotzer, die sich ungeduldig auf mich stürzen, bevor ich mich nicht selbst zur Verfügung gestellt habe, zum biologischen Abbau, verstanden?! Zudem mögt ihr euch diesbezüglich bitte woanders umschauen.

Ich höre die schwere Kellertüre und Stimmen. Geht es schon wieder los, wenn ich nur wüsste warum. Oder, und ich wage kaum daran zu denken, sie würden meine Ketten lösen und mich fortschicken, über Stock und Stein, und ich könnte endlich meine geliebte wunderschöne Amelia wiedersehen, und bin ich auch noch so geprügelt, schlimmer als ein Hund, sehe ich immer wieder ihr reines Antlitz vor mir. Da, jetzt, sie kommen, ich sehe Fackellicht.

Dieser Text, geschrieben von Karin Renee Egger, handelt vom Lauterfresser, einem 58jährigen Tschötscher, der im Mittelalter Opfer der Hexenverbrennungen wurde. Im Lauterfresserkeller in der Kandelburg in Mühlbach hat er seine Gefangenschaft zugebracht. Dazu unser Artikel "Der Mann mit dem Schnitz", https://www.voxnews.online/artikel/der-mann-mit-dem-schnitz

Karin Renee Egger