Die Jahre 1918 bis 1922 waren für Meran und Südtirol eine "Schwellenzeit": Die Belle Époque des Weltkurortes war unwiederbringlich dahin, die Neuorientierung im Königreich Italien fiel schwer. Da stieg am 3. April 1920 am Bahnhof in Meran ein Reisender aus dem Zug: Franz Kafka. Der „Beamte aus Prag“ war schwer krank, litt an Tuberkulose. Aus Meran schrieb der Schriftsteller seiner tschechischen Übersetzerin Milena Jesenská berauschende Briefe. Was als berufliche Korrespondenz begonnen hatte, wurde zu einem weltberühmten Briefdrama. Das von Patrick Rina und Veronika Rieder herausgegebene Buch "Kafka in Meran. Kultur und Politik um 1920" (Edition Raetia, 2020) wirft einen Blick auf Kafkas Schreiben und auf eine kleine Stadt im Umbruch. Der Band beinhaltet Beiträge der renommierten Kafka-Forscher Reiner Stach und Guido Massino, einen Essay der Strega-Preisträgerin Helena Janeczek und kulturhistorische Aufsätze von Ferruccio Delle Cave, Patrick Gasser, Hans Heiss, Ulrike Kindl, Hannes Obermair, Rosanna Pruccoli, Tiziano Rosani und Antonella Tiburzi.
Im Rahmen der Veranstaltungreihe "Bücher erzählen" stellt die Akademie Meran – in Zusammenarbeit mit Edition Raetia, der Urania Meran und dem Touriseum Meran – die neue Kafka-Monographie vor. Der Germanist Guido Massino, einer der profundesten Kafka-Kenner Italiens, spricht über Kafkas Anwesenheit in der Passerstadt und über dessen Korrespondenz mit Milena Jesenská. Dieser Briefwechsel zehrte von der Beschäftigung mit Casanovas Memoiren und Dantes Purgatorio. Einem veritablen Fegefeuer ähnelte Südtirols Schwebezustand anno 1920. Der Historiker Hannes Obermair beleuchtet in seinem Kurzreferat das Oszillieren zwischen Vergangenheitserschöpfung und Zukunfts-sorge, zwischen Andreas-Hofer-Pathos und "Evviva Italia"-Rhetorik. Den phönixhaften Aufstieg des Fremdenverkehrs und Kurwesens zeichnet der Tourismushistoriker Patrick Gasser nach: Schon 1924 verbuchte Meran mehr als eine Million Nächtigungen und knüpfte damit an die großen Erfolge der k.u.k. Zeit an.
Die Buchvorstellung, moderiert von Veronika Rieder in der Akademie Meran und mit aufgezeichneten Beiträgen der Referenten, kann ab dem 01.12.20 auf Youtube (https://youtu.be/1JSEpDbOVAs) und Facebook (https://www.facebook.com/akademiamerano) abgerufen werden.