Untersuchung belegt Pestizidverbreitung durch Wind
Das Umweltinstitut München e.V. hat am Freitag, 8. März in Mals die Ergebnisse seines im Jahr 2018 durchgeführten Projektes zur Messung von Pestiziden in der Luft im Vinschgau vorgestellt. Die Ergebnisse des Projektes sind alarmierend. Jeder zehnte Apfel in Europa kommt aus Südtirol. Diese intensive Obstwirtschaft ist nur möglich, so das Umweltinstitut München, weil in den Plantagen sehr häufig mit Pestiziden gespritzt wird. Weil die Wirkstoffe in den Pestiziden vom Wind durch die Luft verbreitet werden, gäbe es vor Ort große Konflikte um den Einsatz der Gifte. Karl Bär, Referent für Agrar- und Handelspolitik beim Umweltinstitut München, präsentierte am Freitag die Ergebnisse der Untersuchung des Instituts. Das unter dem Namen "Vom Winde verweht" geführte Untersuchungsprojekt zeigt auf, welche in Pestiziden enthaltenen Stoffe wann und wie weit durch die Luft verbreitet werden. Wie Bär bei der Pressekonferenz in Mals erklärte, seien für die Untersuchung im Vinschgau über eine Dauer von sieben Monate an vier Standorten insgesamt acht Passivsammler zur Verfügung gestanden. Alle drei Wochen hätten ehrenamtliche Helfer das Sammelmedium gewechselt und zur Analyse an ein Labor geschickt. Die Ergebnisse seien so miteinander vergleichbar und würden einen Zeitablauf der Belastung liefern. Von 29 verschiedenen Pestizidwirkstoffen, nach denen das Umweltinstitut München gesucht hatte, konnten 20 in den Sammelmedien nachgewiesen werden. Die Messstandorte: Wie Karl Bär erläuterte, seien die vier Messstandorte so ausgewählt worden, dass unterschiedliche Expositionsszenarien eine unterschiedliche Belastung der Luft mit Pestiziden erwarten ließen. Die konkreten Standorte waren: A) Ein Garten innerhalb der geschlossenen Ortschaft Mals. Der Standort war relativ stark geschützt, da das Grundstück von einer Hecke umgeben gewesen sei, und sich um das Grundstück herum weitere Gebäude befunden hatten. Mit dieser Standortwahl sollte festgestellt werden, ob Abdrift innerorts und am Rande des Obstbau-Kerngebiets nachweisbar sei. B) Der zweite Standort wurde möglichst zentral in einer Obstwiese im mittleren Vinschgau gewählt. Diese Wiese wurde nach biologischen Kriterien bewirtschaftet und lag in der unmittelbaren Umgebung von konventionellen Obstwiesen. C) Ein dritter Standort wurde deutlich abgelegen von bewohnten oder bewirtschafteten Flächen über dem Talboden in einem Seitental liegend gewählt. Die Wahl fiel auf einen Hang nahe eines Bachlaufs an der Straße von der Ortschaft Burgeis nach Schlinig. D) Schließlich wurde noch ein Standort gewählt, an welchem sehr viel Abdrift zu erwarten war, ohne dass an diesem Ort jedoch selbst Pestizide ausgebracht wurden. Dazu wurden auf einem weiteren Bio-Betrieb im mittleren Vinschgau die zwei Sammler gezielt so aufgestellt, dass sie von der Luft aus der Umgebung sehr gut angeströmt hätten werden können. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
Es gibt im Vinschgau von Mitte März bis mindestens Ende August eine Dauerbelastung mit Pestiziden. Für Menschen und Umwelt gibt es in dieser Zeit keine Pause.
Einige der Gifte werden sogar kilometerweit durch die Luft transportiert. Zwölf der Wirkstoffe fand das Umweltinstitut München auch im Garten in Mals, also innerhalb einer geschlossenen Ortschaft. Darunter seien gesundheitsschädliche Mittel, die Krebs und Allergien auslösen können oder die Fruchtbarkeit schädigen. Und sogar auf über 1600 Höhenmeter in einem Seitental fanden Institutsmitarbeiter noch sechs Wirkstoffe. Darunter sei das Insektengift Imidacloprid gefunden worden, bei dem weniger als vier Nanogramm ausreichen würden, um eine Biene zu töten.
Entsprechend der Ergebnisse des Umweltinstituts München befinden sich immer unterschiedliche Mittel gleichzeitig in der Luft, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen können. Ein Beispiel für diesen sogenannten "Cocktaileffekt", so das Umweltinstitut München, sei das Insektengift Thiacloprid, das zu den Neonicotinoiden zählen würde. Wenn es mit bestimmten Fungiziden (Ergosterol-Biosynthese-Inhibitoren) kombiniert wird, sei es für Honigbienen um mehrere Dutzend Mal giftiger als alleine. In einer Bio-Apfelplantage hat das Umweltinstitut München im Mai sowohl Thiacloprid als auch zwei dieser Fungizide gefunden. In der selben Probe waren noch acht weitere Mittel ausfindig gemacht worden.
Kritik am Zulassungsverfahren: Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse erweisen sich für das Umweltinstitut München die Zulassungsverfahren der Europäischen Union, die staatlichen Monitoringprogramme und die Regeln der "guten landwirtschaftlichen Praxis" oder "guten fachlichen Praxis" als ungenügend, wenn es darum gehen würde unsere Gesundheit und Umwelt vor den schädlichen Wirkungen der Ackergifte zu schützen. Insbesondere kritisiert das Umweltinstitut München, dass das europäische Zulassungsverfahren den Cocktaileffekt und die Dauerbelastung ignorieren würde.
Das Zulassungsverfahren sei lediglich auf die Bewertung von Einzelstoffen in einem wissenschaftlich einfach zu fassenden Rahmen fixiert. Das sei für das Umweltinstitut München unrealistisch, denn de facto sind Mensch und Umwelt einer Vielzahl von Schadstoffen aus unterschiedlichen Quellen zugleich ausgesetzt.
Die europäischen Behörden würden zudem die Verbreitung von Pestiziden durch die Luft vernachlässigen. Bei den vier der sechs Wirkstoffe, die das Umweltinstitut München an allen vier Standorten gefunden hätte, würde die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) davon ausgehen, dass diese nach der Anwendung allenfalls in vernachlässigbaren Mengen in die Luft übergehen und in der Atmosphäre unter dem Einfluss von Sonnenlicht schnell zerfallen würden. Beim fünften Wirkstoff würde die Behörde Auskünfte der Herstellerfirma akzeptieren, wonach der Stoff nicht volatil sei, was für eine Zulassung ausreichend sein würde.
Tatsache sei, so das Umweltinstitut München, dass es kein systematisches Monitoring von Pestiziden in der Luft geben würde. Weder in Deutschland, noch in Italien oder Österreich gäbe es staatliche Programme zur Messung von Pestizid-Wirkstoffen in der Luft. Infolgedessen gäbe es auch keine offiziellen Daten zum Problem, kritisiert das Umweltinstitut.
Auch technische Maßnahmen würden daher nicht ausreichen, um Abdrift der Pestizid-Wirkstoffe durch Wind zu verhindern. Gerade in Südtirol habe die konventionelle Landwirtschaft in den letzten Jahren immer wieder auf Kritik reagiert und eine Lösung des Problems durch technische Maßnahmen versprochen. Die Schäden für Bio-Betriebe und Gefahren für Umwelt, Anwohnerinnen und Anwohner sowie Urlaubsgäste enstehen jedoch weiterhin, so das Umweltinstitut München. Der Staat würde Bio-Betriebe im Regen stehen.
Das ernüchternde Fazit:
Laut Umweltinstitut München würden die Ergebnisse insgesamt eindrücklich einen erheblichen Transport von Pestiziden über kilometerweite Distanzen bis hinauf in abgelegene Seitentäler belegen.
Die Ergebnisse würden zudem einen deutlichen Hinweis auf die erschwerten Bedingungen für Bio-Betriebe im Umfeld der intensiven, konventionellen Apfelplantagen geben.
Darüber hinaus würden die Ergebnisse auf einen bisher unterschätzten Risikoaspekt hinweisen: Im Vergleich zu einzelnen Wirkstoffen würde bei der Gesamtbelastung an Pestiziden eine erheblich höhere und über den Saisonverlauf andauernde Belastung und damit ein entsprechend höheres Gefahrenpotenzial bestehen.
Die einzige Möglichkeit, so Karl Bär vom Umweltinstitut München abschließend, die Verbreitung von Pestiziden durch die Luft zu verhindern, sei es, keine Pestizide zu verwenden. VOX-NEWS-Südtirol-Quellennachweis: Die vollständigen Untersuchungsergebnisse: (hier) Zusammenfassung der Ergebnisse (hier) Linkverweis zur Umwelthilfe München e.V.: (hier) [gallery ids="https://www.voxnews.online/wp-content/uploads/2019/03/Passivsammler-Pestizide.jpg|In den Passivsammlern lagern sich Pestizidrückstände ab,https://www.voxnews.online/wp-content/uploads/2019/03/Passivsammler-im-Vinschgau-1.jpg|Die vier Standorte der Passivsammler,https://www.voxnews.online/wp-content/uploads/2019/03/Passivsammler-im-Vinschgau-2.jpg|Weitere STandorte der eingesetzten Passivsammler im Vinschgau"] Lesen Sie auch: LR Schuler: Messungen nach Zufallsprinzip sind wenig aussagekräftig (zum Artikel) Grüne Fraktion: Ökowende bis 2030 umsetzen (zum Artikel)