Wie Kompatscher EU-Vorschrift bricht

Trotz gültigem Negativ-Test aus Lokal geworfen

Tatort Meran - Freiheitsstraße: Ein eklatanter Fall, der sich am Samstagvormittag in Meran ereignet hat, zeigt auf haarsträubende Weise, wie die jüngste Verordnung von LH Arno Kompatscher geltende Vorschriften der EU-Kommission bricht. Digitale COVID-Zertifikate haben in der EU eine Gültigkeit von 9 Monaten. Das ist so. In Italien und Südtirol wurde die Gültigkeit der Zertifikate entgegen der EU-Kommissions-Vorschrift auf 6 Monate heruntergesetzt. Für Personen aus einem ausländischen Staat wurde eine rechtlich umstrittene Ausnahmeregelung geschaffen. Trotz abgelaufenem Zertifikat hätten sie mit einem negativen Antigen- und PCR-Test den gleichen Zugang, wie Geimpfte und Genesene. Der Fall eines Auslandssüdtirolers, der trotz gültigem negativem Test haushoch aus einer Bäckerei-Cafeteria in der Meraner Freiheitsstraße geworfen wurde, zeigt, wie schwer die Verordnung Kompatschers umzusetzen ist, zumal die COVID-Zertifikate auf allen Kontroll-Apps als ungültig aufscheinen (obwohl sie außerhalb Italiens noch die volle Gültigkeit haben). Nicht nur, dass vermutlich seit 1. Februar in Südtirol und Italien auf diese Weise hunderte Personen aus einem ausländischen Staat regelrecht um die Gültigkeit ihres digitalen COVID-Zertifikates betrogen wurden, der Fall geht insgesamt tiefer: Denn die Geschröpften sind wohl alle Südtiroler und Italiener, welche durch Rechtsbrüche ihrer Politiker um die EU-weite neunmonatige Gültigkeit ihrer digitalen COVID-Zertifikate gebracht wurden. Die ganze unglaubliche Geschichte über diesen in der EU beispiellosen Rechtsbruch hier exklusiv auf VOX NEWS Südtirol.

Meraner Freiheitsstraße. Trotz negativem Coronatest aus Bäckerei-Cafeteria geworfen. Unklare Verordnung sorgt für Verwirrung. (Foto: VOX NEWS Südtirol)

R.F. (Name der Redaktion bekannt) ist gebürtiger Südtiroler, jedoch aus beruflichen Gründen im Ausland ansässig und aus diesem Grund entsprechend der nationalen Vorschriften im Melderegister für Auslandsitaliener (AIRE) eingetragen. R.F. ist auch gegen den COVID-19-Erreger geimpft. Konkret hatte er seinen Impfzyklus am 1. Juli 2021 abgeschlossen. Zusätzlich – obwohl es entsprechend einer Erleichterung der italienischen Regierung seit dem 1. Februar nicht mehr verpflichtend wäre – hat sich R.F. am 2. Februar, vor seiner Abfahrt nach Südtirol, einem PCR-Test unterzogen. Das Testergebnis war negativ. Nach seiner Ankunft in Südtirol besuchte der Auslandssüdtiroler am Samstagvormittag in der Meraner Freiheitsstraße eine Bäckerei mit angeschlossener Cafeteria um dort zu Frühstücken. Die Bedienung hatte in dem gut besuchten Lokal ordentlich zu tun, so dass es nicht bereits beim Einlass zu einer Kontrolle des Super Green Pass-Status kam. Zu einer solchen wäre R.F. durchaus bereit gewesen, doch es wurde ihm gesagt, er könne inzwischen Platz nehmen und bestellen. In Folge wurde der Gast bedient. Serviert wurden ein Heißgetränk, eine Brioche und eine Semmel mit Butter und Marmelade zum Selberstreichen. Als der Gast mit dem Verzehr des Brotes bereits begonnen hatte, trat die Bedienung nochmals an den Gast heran. Er solle nun den Impfnachweis erbringen. Der Gast griff selbstbewusst zu seinem Handy und zeigte den entsprechenden QR-Code seines ausländischen Impfzertifikates. Doch die Kontroll-App der Bedienung meldete ein ungültiges Impfzertifikat. Vergebens die Versuche des Gastes zu erklären, dass er auch über einen negativen PCR-Test verfüge. Zu der ersten kam noch die zweite Bedienung hinzu. Auch deren Handy-App spuckte ein rotfarbenes Kreuz für ein ungültiges Impfzertifikat aus. Nun ging es schnell. R.F. wurde aufgefordert sofort von seinem Platz aufzustehen und das Lokal zu verlassen. Eine Bedienung nahm dem Gast unter seiner Nase das Heißgetränk und die die noch verbliebene Brioche weg, die andere drohte dem Gast in relativ arrogantem und kratzigem Unterton nochmals auf die Cafeteria-Bäckerei ohne Murren zu verlassen. Würde das nicht geschehen, würde sofort die Polizei gerufen. Angesichts dieser "Gewaltausdrücke" stand der Gast auf, packte seinen Mantel und begab sich zur Tür des Lokals. Zuhause angekommen – noch nicht ganz im Klaren über das was und wie ihm geschah – hängte sich R.F. an seinen PC und er studierte nochmals alle ihm geläufigen Bestimmungen. Hatte er was falsch gemacht? Hatte er irgendeine Bestimmung vor der Einreise übersehen? Doch R.F. erinnerte sich an die Bestätigung des Gesundheitsamtes seines Wohnsitzlandes, welches ihm zugesichert hatte, dass sein Impfzertifikat in der ganzen EU 9 Monate Gültigkeit hatte.

Digitale COVID-Zertifikate der EU haben eine Gültigkeit von 9 Monaten 

Und in der Tat die Kommission der Europäischen Union hat erst am 21. Dezember 2021 die Vorschriften für das digitale COVID-Zertifikat der EU angenommen, mit denen für Reisen innerhalb der EU ein verbindlicher Anerkennungszeitraum von neun Monaten (genau 270 Tage) für Impfzertifikate festgelegt wurde. So heißt es auch in der entsprechenden Pressemitteilung der EU-Kommission, dass "ein klarer und verbindlicher Anerkennungszeitraum von Impfzertifikaten gewährleisten wird, sowie dass die Reisemaßnahmen der Mitgliedstaaten weiterhin koordiniert werden, wie dies vom Europäischen Rat im Anschluss an seine letzte Tagung vom 16. Dezember 2021 gefordert wurde." Und in der Pressemitteilung der EU-Kommission ist sogar von einer "Erfolgsgeschichte des digitalen COVID-Zertifikates der EU“ die Rede. Mit den neuen Vorschriften der EU-Kommission würde sichergestellt, dass die jeweiligen Beschränkungen auf den besten jeweils verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie auf objektiven Kriterien beruhen. "Eine fortgesetzte Koordinierung ist für das Funktionieren des Binnenmarkts von entscheidender Bedeutung und wird Klarheit für EU-Bürgerinnen und -Bürger schaffen, die ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen", ist in der Pressemitteilung der EU-Kommission zu lesen.

Tatsache ist, dass der EU-Bürger R.F. von all diesen von der EU-Kommission so hoch gepriesenen Vorschriften am Samstagvormittag in Meran überhaupt nicht profitierten konnte. Sein am 1. Juli 2021 erhaltenes "digitales COVID-Zertifikat der EU" wurde nach Ablaufen der in Italien bestehenden Frist von 6 Monaten am 1. Februar und somit genau 41 Tage (!) nach der Pressemitteilung der EU-Kommission von einer italienischen Kontroll-App auf den Handys von zwei Mitarbeiterinnen der Meraner Bäckerei-Cafeteria für ungültig erklärt. Die Folge: R.F. flog hochkantig aus dem Meraner Lokal. Selbstredend geschah das auch unter den teilweise erschrockenen und gleichwie verängstigten Blicken der anderen Gäste in der Gaststätte. Der bittere Witz dabei: In allen anderen Ländern der Europäischen Union wird die neun Monate dauernde Gültigkeit des digitalen COVID-Zertifikates der EU respektiert. Während alle Länder der EU sich an die 9-Monate-Regel halten und das Impfzertifikat von R.F. in allen anderen Ländern der Europäischen Union noch eine Gültigkeit von 3 Monaten hat, ist der ausländische EU-Impfnachweis aufgrund einer neu eingeführten Regelung in Italien – und nur dort – nur mehr 6 Monate gültig. Mit anderen Worten, das Impfzertifikat von Herrn R.F., welches in der "Rest-EU" nach wie vor eine Gültigkeit von insgesamt 9 Monaten hat, ist seit 1. Februar in Italien und somit nach Verstreichen des 6. Monats ungültig geworden. Und dies ist ganz klar gegen die Vorschrift der EU-Kommission. Und im Übrigen, wenn man es genau nimmt, ist hier nicht nur R.F. der Geschröpfte, sondern alle Südtiroler bzw. Italiener sind es. Denn eigentlich sollte diese Vorschrift ja nicht eine Ausnahme für Personen aus dem Ausland sein, sondern eine gültige Vorschrift der EU-Kommission für alle EU-Bürger.

Und auch klar: Italien wäre nicht Italien, wenn es nicht eine Art "Notlösung" für die Auslands-Geimpften parat hätte. Und hier kommt nun auch die Südtiroler Verordnung bzw. als politischer Verantwortlicher Landeshauptmann Arno Kompatscher ins Spiel.

Denn mit der Dringlichkeitsmaßnahme Nr. 06-2022 vom 4. Februar 2022 des Landeshauptmannes wurde eine neue Regelung in Kraft gesetzt, welche unter Punkt 10 der Bestimmungen Folgendes vorsieht:

  • "Personen aus einem ausländischen Staat, die im Besitz einer von den zuständigen ausländischen Gesundheitsbehörden ausgestellten Bescheinigung über die Genesung oder Impfung mit einem in Italien zugelassenen oder als gleichwertig anerkannten Impfstoff sind, und falls seit Abschluss des primären Impfzyklus oder nach der Genesung mehr als sechs Monate vergangen sind, ist der Zugang zu Dienstleistungen und Aktivitäten, für die auf dem Staatsgebiet eine Verpflichtung besteht, eine Bescheinigung gemäß Punkt 4) der Dringlichkeitsmaßnahme bei Gefahr im Verzug Nr. 1 vom 05.01.2022 (2G-Bescheinigung) nach Durchführung eines Antigen-Schnelltests oder eines molekularen Antigentests mit negativem Ergebnis, gültig jeweils für 48 Stunden bei schnellen bzw. 72 Stunden bei molekularen Tests, gestattet."

Mit anderen Worten, der italienische Gesetzgeber – in diesem Fall für die Autonome Provinz Bozen Landeshauptmann Arno Kompatscher – ist sich voll bewusst, dass man eigentlich mit der Verkürzung der Gültigkeit des digitalen COVID-Zertifikates der EU von 9 auf 6 Monaten, gegen geltende EU-Vorschriften verstößt. Denn ganz klar, die unter Punkt 10 mehr umständlich als verständlich in die Verordnung "eingepflanzte" Ausnahmeregelung für "Personen aus einem ausländischen Staat", welche aufgrund eines abgelaufenen Impfzertifikates mit einem negativen Antigen- oder PCR-Test doch alles dürfen, ist - offen gesagt - nichts anderes als Augenauswischerei und schlecht gemachtes, wie man sieht, auch in der Praxis kaum funktionierendes Täuschungsmanöver jener verantwortlichen Politiker, die im Stiefelstaat zum Erlass solcher klar EU-Recht-verletzenden Verordnungen genötigt werden.    

"Der italienische Gesetzgeber und somit LH Kompatscher ist sich voll bewusst gegen geltende EU-Vorschriften zu verstoßen"

Tatsache ist, das R.F., der am Samstagvormittag als nicht Wohnsitz-Italiener genau von dieser Bestimmung hätte profitieren sollen, den Kürzeren gezogen hatte. Und wer weiß, wie viele andere "Personen aus einem ausländischen Staat", Urlauber, Gäste, beruflich reisende Ausländer, ecc., die auch Italien und unser schönes Land besuchen, aufgrund dieses klaren EU-Vorschriften-Bruches auf übelste Art vergrault wurden?

Jedenfalls, mit dem zusätzlichen negativen PCR-Test hätte R.F. in dem Meraner Gastlokal trotz (in Italien) abgelaufenen Impfnachweises bedient werden müssen. Niemals hätten die betreffenden Mitarbeiterinnen der Bäckerei-Cafeteria R.F. aus dem Lokal verweisen dürfen. Der Rausschmiss den R.F. erlitten hat war unrechtmäßig und gegen die geltenden Bestimmungen. Gegen die geltenden EU-Vorschriften, da das am 1. Juli erhaltene Impfzertifikat von Herrn R.F. per Beschluss der EU-Kommission noch 3 Monate Gültigkeit hat und klarerweise auch gegen die Notverordnung des Landeshauptmannes, denn der negative PCR-Test war gültig und hätte R.F. laut Südtiroler Vorschrift berechtigt in der Bäckerei-Cafeteria bedient zu werden.

Mit dieser Erkenntnis und mit der Absicht die beiden Mitarbeiterinnen im Café über ihr Fehlverhalten zu informieren, auch in der Absicht weitere solche "Rausschmisse" von "Personen aus einem ausländischen Staat" zu verhindern, immerhin ist Meran eine Kurstadt, auch mit zahlreichen guten und zahlungskräftigen Touristen, ging R.F. erneut zu dem Gastlokal, wo er wenige Stunden zuvor zu Unrecht aus den Räumlichkeiten hinauskomplimentiert wurde. Doch die Mitarbeiterinnen hatten weder große Freude über den erneuten Besuch des aus deren Sicht "Störenfriedes" und entsprechend auch kein Interesse an ein (auf)klärendes Gespräch. Stattdessen wurde R.F. von den beiden, offensichtlich auch überforderten Mitarbeiterinnen nun aufs Übelste beschimpft. Leute wie er seien "Abschaum" und sie würden andere Leute "nur nerven", auch solle er sich in Zukunft "nie mehr wieder in dem Gastlokal blicken lassen", betonten die Mitarbeiterinnen der Mischform aus Geschäft und Café. Und sie zögerten keine Sekunde, nahmen ein Handy und riefen die Polizei.

Angesicht dieser Dynamik dachte sich R.F. – sich selbst im Recht wissend – gut, dann lass nur die Damen und Herren von der Polizei kommen. Nach rund 15 Minuten war es dann so weit. In der Bäckerei-Cafeteria präsentierten sich drei uniformierte Polizisten der Meraner Ortspolizei. Nach einigen Kontrollen, Erklärungen und Formalitäten endete das Ganze in der Feststellung, dass R.F. in der Tat Unrecht geschehen ist, dass er zum Zeitpunkt des Lokalbesuches über einen gültigen PCR-Test verfügte und somit nicht aus dem Geschäftslokal bzw. dem Café geworfen hätte werden dürfen. Dass es dennoch dazu gekommen ist, begründete einer der Polizisten mit der Feststellung, dass gegenwärtig der Druck auf die Mitarbeiter in Gastlokalen und Handelsgeschäften eben sehr groß sei und man auch irgendwo Verständnis haben müsste, dass eine Regelung, die erst vor einem Tag eingeführt worden wäre, noch nicht bei allen Mitarbeitern im Gastgewerbe und im Handel so bekannt sein dürfte, wie etwa die eingeführte Verpflichtung zum Super Green Pass-Nachweis.

Dennoch hat sich der Vorfall ereignet, dennoch ist Unrecht geschehen. Aber das Ganze scheint überhaupt irgendwo nur die Spitze des Eisberges zu sein. Denn aufgrund von Verordnungen einzelner Politiker (welche dafür auch die persönliche Haftung übernehmen) wurden über Nacht aus einfachen Kellnern und Kellnerinnen, aus Verkäufern und Verkäuferinnen Kontrolleure, welche mittels Applikationen auf ihren Handys sensible Daten (Gesundheitszustand und persönliche Daten wie Name, Vorname und Geburtsdatum) ihrer Kunden abfragen und aufrufen müssen.

Nur die Spitze des Eisbergs an Rechtsverletzungen

Juristen und Datenschützer sind überzeugt: Das dürfen einfache Verkäuferinnen und Kellner überhaupt nicht. Der römische Rechtsanwalt Alessandro Fusillo vom "Movimento Liberatorio", einer Bewegung, die Rechtshilfe bei auferlegten Strafen gegen Verstößen gegen die Corona-Maßnahmen anbietet, ist der Meinung, dass die Italienische Verfassung eine außergewöhnliche Waffe sei, um die Freiheitsrechte der Bürger zu verteidigen. Hinsichtlich der Kontrollen ist er der rechtlichen Auffassung, dass in Italien noch nicht einmal alle Kräfte der Ortspolizei die Befähigung hätten Personenkontrollen durchzuführen. "Um das tun zu können", so Rechtsanwalt Fusillo, "bräuchten selbst Kräfte der Ortspolizei die Qualifikation als 'Agenten für die Öffentliche Sicherheit' (ital. 'agenti di pubblica sicurezza')."

Wie können somit politische Verantwortungsträger, welche die hierzulande geltenden Corona-Verordnungen unterschreiben und in Kraft setzen, Politiker wie beispielsweise Landeshauptmann Arno Kompatscher, der obendrein noch ausgebildeter Jurist ist, folglich überhaupt davon ausgehen, dass einfache Ladenmitarbeiter und Beschäftigte in der Gastronomie eine Qualifikation hätten, die noch nicht einmal zahlreiche Ortspolizisten im Lande haben?

Keine Ahnung. Die Frage ist nun - unter den bezeichneten Umständen, dass entsprechend der italienischen Gesetzgebung "Personenkontrollen" nur von qualifizierten Polizeikräften durchgeführt werden dürfen -, kann man den Mitarbeiterinnen in der Meraner Bäckerei-Cafeteria wirklich einen Vorwurf machen, dass sie mit dem Rausschmiss von Herrn R.F. falsch gehandelt hätten?

Sicher, der handfeste Ladenverweis, den R.F. erleben durfte, war nicht gerechtfertigt, aber letztlich, sagen wir es offen, wollen diese Mitarbeiter auch nichts anderes, als ihre Interessen und die Interessen ihres Arbeitgebers schützen. Kontrollieren die Mitarbeiter nicht die Kunden auf ihren Impfstatus, würden sie bei einer Kontrolle durch die Polizei- und Ordnungskräfte auch riskieren, dass ihr Arbeitgeber sanktioniert bzw. bestraft werden könnte. Und welche Angestellte oder welcher Angestellter will schon verantwortlich für solche Strafen sein? Und wer will schon als Lohnabhängige/r ein Auge zudrücken, wenn die Kontroll-App auf dem Handy einen Kunden oder Gast mit einem nur in Italien nicht gültigen Impfzertifikat entlarvt? Wohl in der derzeitigen Lage kaum jemand.

Nein, den Mitarbeiterinnen der betreffenden Bäckerei-Cafeteria kann man folglich nicht wirklich böse und nachtragend für ihr Handeln sein. Dennoch ist die Missachtung der EU-Vorschriften, sprich der festgelegten Gültigkeit des digitalen EU-Zertifikates für neun Monate, keineswegs als Kavaliersvergehen der verantwortlichen Politiker zu betrachten. Der Schaden ist immens. Denn das, was dem Auslandssüdtiroler R.F. am Samstagvormittag in der Meraner Bäckerei-Cafeteria passiert ist, kann im Grunde allen anderen ausländischen EU-Bürgern genauso passieren. Und wie unter diesen Umständen die HGV-Spitze im Lande die Lockerungen begrüßen kann, muss man wohl zu den allgegenwärtigen Rätseln dieser Corona-Pandemie zählen. Es ist doch ganz klar, dass die einseitige italienische Kürzung der Gültigkeit des digitalen COVID-Zertifikates von 9 auf 6 Monate genau für das Gegenteil steht, was die EU-Kommission – siehe Pressemitteilung dieser – unter "fortgesetzte Koordinierung für das Funktionieren des Binnenmarkts" und "Klarheit schaffen für EU-Bürgerinnen und -Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen wollen" angesichts dieser italienischen Farce ihren Bürgern noch schwer vermittelbar als Erfolgsgeschichte verkaufen will.  

Noch einmal um es klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen: Auf Grund der von Italien nicht umgesetzten EU-Vorschrift kann es ab dem 1. Februar 2022 bei Personen aus dem EU-Ausland dazu kommen, dass ihre Impfnachweise nicht mehr gültig sind (obwohl sie außer in Italien noch gültig sind). EU-weit gelten digitale COVID-Zertifikate neun Monate. Wenn diese Personen mit einem in Italien ungültigen digitalen COVID-Zertifikat einen Antigen-Schnelltest, gültig für 48 Stunden, oder einen PCR-Test, gültig für 72 Stunden, ausgestattet sind, dann sind diese Personen den gültig Geimpften, Genesenen und Geboosterten gleichgestellt. Ihnen darf laut Verordnung von Landeshauptmann Kompatscher nichts verwehrt werden, was beispielsweise Ungeimpften verwehrt werden darf.

Doch diese Umgehung der EU-Vorschrift verstößt massiv gegen geltende EU-Vorschrift.

Die EU-Kommission dazu:

  • "Impfzertifikate werden von den Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von neun Monaten ab Verabreichung der letzten Dosis der Erstimpfung anerkannt. Bei einem Einzeldosis-Impfstoff bedeutet dies 270 Tage ab der ersten und einzigen Verabreichung. Bei einem Impfstoff mit zwei Dosen bedeutet dies 270 Tage ab der zweiten Impfdosis oder, im Einklang mit der Impfstrategie des jeweiligen Mitgliedstaats, ab der ersten und einzigen Dosis nach der Genesung vom Virus. Nach diesen neuen EU-Vorschriften für Reisen innerhalb der EU müssen die Mitgliedstaaten Impfzertifikate anerkennen, die weniger als neun Monate nach Verabreichung der letzten Dosis der ersten Impfserie ausgestellt wurden. Die Mitgliedstaaten können weder einen kürzeren noch längeren Anerkennungszeitraum vorsehen."

Extreme Verwunderung über den Vorfall auch bei Rechtsanwalt Boris Dubini. Dubini, der in Meran lebt und in mehreren Gerichtsbezirken Oberitaliens als Zivil- Und Strafverteidiger tätig ist, schüttelt zu diesem Vorfall auch nur mehr den Kopf. Er ist überzeugt, dass das Eis, auf denen sich die Politiker auch hierzulande mit ihren massiv grund- und EU-rechtsverletzenden Entscheidungen bewegen, hauchdünn ist. Und er ist auch davon überzeugt, dass den für die Corona-Maßnahmen verantwortlichen Politikern nach der Corona-Pandemie die Rechnung präsentiert wird. Eine Rechnung, die selbstverständlich in einem zivilen demokratischen Rechtsstaat nichts anderes als die genaue juristische Aufarbeitung der Maßnahmen der politischen Verantwortungsträger bedeuten kann und eben in Italien, mit nahezu biblischen Verfahrensdauerzeiten bis zu rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen, seine Zeit benötigt.

RA Boris Dubini (im Bild): "Verantwortliche Politiker bewegen sich auf dünnem Eis" (Foto: VOX NEWS Südtirol)

Und Dubini, der mittlerweile auch die rechtlichen Interessen von R.F. in dem von VOX NEWS Südtirol aufgedeckten Fall, übernommen hat, bestätigt unserer Redaktion gegenüber bei der EU-Kommission die Einreichung einer entsprechende Beschwerde zu Lasten der Verordnung von Landeshauptmann Arno Kompatscher prüfen zu wollen.

Beschwerde bei EU-Kommission wird geprüft

"Da lob' ich mir andere Staaten in der EU", sagt R.F. gegenüber der Redaktion von VOX NEWS Südtirol. Und R.F. verweist auf ein jüngstes Urteil des Obersten Verwaltungsgerichtes der Tschechischen Republik. So haben die obersten Verwaltungsrichter des seit 2004 in der EU befindlichen Staates am Mittwoch der vergangenen Woche erst die 2G-Regel (in Italien und Südtirol gleichzusetzen mit dem Super Green Pass-Nachweis) in Gaststätten und Hotels gekippt. "Es fehlt die rechtliche Grundlage für die Einschränkungen", teilte ein Sprecher des Höchstgerichts in Brünn (Brno) mit. "Es darf nicht Ziel der Maßnahme sein, die Bürger indirekt zum Impfen zu nötigen", bemängelten die Richter. Menschen sollten nicht pauschal einer Infektion verdächtigt werden, solange sie keine Symptome haben. Zudem lasse laut Richter Petr Mikeš das tschechische Pandemiegesetz eine solche Regelung für Restaurants und Hotels nicht zu. Das Gesetz zum Schutz der öffentlichen Gesundheit würde eine Regulierung ermöglichen, allerdings nur in Situationen, in denen das gesamte Land als Hotspot der Ansteckung gilt und jeder Bürger im Verdacht stehe, infiziert zu sein. Das tschechische Gesundheitsministerium habe jedoch in seiner Begründung keine derartige Argumentation angeführt. Eine Woche hat die Regierung in Prag jetzt Zeit, die entsprechende Verordnung nachzubessern. Geschieht dies nicht, ist die 2G-Pflicht in der Tschechischen Republik endgültig vom Tisch.

"So sollten die Gerichte auch in Italien funktionieren", kommentiert R.F. die Schnelligkeit, mit welcher Organe ausländischer Judikative rechtskräftige Urteile fällen. "Aber angesichts der bekannten Langatmigkeit italienischer Gerichte, bleibe hier wohl in der Tat nur die Beschwerde bei der EU-Kommission übrig", ist R.F. auf Nachfrage unserer Redaktion überzeugt. 

VOX NEWS Südtirol - Quellenverweise:

Zum Nachlesen: 

  • Die Dringlichkeitsmaßnahme (Notstandverordnung) des Landeshauptmannes Nr. 6 vom 04.02.2022 - zum Anschauen und Nachlesen: hier
  • Die Pressemitteilung der EU-Kommission vom 21.12.2021 zur Gültigkeit der digitalen Impfzertifikate - Titel: "Digitales COVID-Zertifikat der EU: Kommission legt verbindlichen Anerkennungszeitraum von neun Monaten für Impfzertifikate fest" - zum Anschauen und Nachlesen: hier

 

VOX News Südtirol / red