Die deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler sind in einer äußert glücklichen Lage. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis und ihrer Sprachkenntnisse, können sie italienische wie deutsche Medien gleichzeitig konsumieren. In Corona-Zeiten ist das eindeutig ein Vorteil. Oft lohnt sich der Blick zu den Nachbarn und gemeint ist damit nicht unbedingt der Blick nach Österreich. In Deutschland ist unter Fachwissenschaftlern längst schon auch in der Öffentlichkeit die Diskussion entbrannt, ob die Politik mit ihrem Shutdown und die damit für ein ganzes Volk verordneten Kontakt- und Ausgangssperren nicht etwas zu voreilig waren (lesen Sie dazu auf VOX NEWS Südtirol auch folgenden Artikel "Wissenschaftler fordern kontrollierten Ausstieg aus dem Shutdown").
Ein weiterer Südtiroler, Markus Lanz, hatte vor wenigen Tagen in seiner Talkshow im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) den deutschen Virologen Hendrik Streeck zu Gast. Streeck ist Leiter der Virologie am Bonner Universitätsklinikum und damit Nachfolger von Christian Drosten, Deutschlands zurzeit wohl bekanntestem Virologen. Bei Markus Lanz zeichnete er ein anderes Bild als das von monatelangem Verzicht und Einschränkungen: Mit den richtigen Daten könne man über Exit-Strategien sprechen - viele getroffene Maßnahmen hält er nämlich als Bürger für sehr drastisch. Auf Grundlage von guten Daten - zu Sterblichkeitsraten oder Infektionswegen beispielsweise - könne man wichtige Entscheidungen besser treffen: "Wir reden sehr viel über Spekulationen und Modellrechnungen. Dabei muss aber nur ein Faktor falsch sein und dann fällt das Ganze in sich zusammen wie ein Kartenhaus", sagt der Virologe Streeck zu Markus Lanz.
Doch was macht den Virologen Hendrik Streeck so interessant?
Streeck erforscht mit seinem Team die Infektionsfälle im Kreis Heinsberg und er ordnete die Mundschutz-Debatte fachlich ein.
Seine Aussagen bei Markus Lanz lassen aufhorchen, denn vieles was derzeit unter der Maxime der höchsten Vorsicht als strikt verboten gilt (offene Restaurants oder der Besuch beim Friseur) lässt sich aufgrund der Stellungname des Wissenschaftler als die falsche Maßnahme erkennen.
"Wir wissen, dass es keine Schmierinfektion ist, die über Anfassen von Gegenständen übertragen wird, dass aber eng aneinander tanzen und ausgelassen feiern schon zu Infektionen führte. Jetzt gilt es, die Nuancen dazwischen zu finden“, so Streeck in der TV-Talkshow des Südtiroler Moderators. Für den Virologen sei sehr fraglich, ob bei Friseur- oder Restaurantbesuch überhaupt Übertragungen stattfinden können und ob man nicht auch in anderen Läden des Einzelhandels (außer im Lebensmittelbereich) mit guten Vorsichtsmaßnahmen Infektionen verhindern könne.
Der Experte wies darauf hin, dass es sich bei der Maskenpflicht nur um einen OP-Mundschutz der Klasse FFP1 handelt. "Wer niesend oder hustend durch die Straßen geht, kann einen solchen Mundschutz tragen, damit er andere nicht infiziert", so Streeck. Man selbst sei so aber nicht vor einer Infektion geschützt. Der Virologe erläuterte, dass auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus keinen Nutzen im allgemeinen Mundschutztragen sieht.
Denn er und seine Kollegen wüssten mittlerweile, wie sich das Coronavirus verbreitet. "Und wir wissen auch", erklärte er Moderator Markus Lanz, "dass es keine nachgewiesenen Ansteckungen beim Einkaufen oder beim Friseur gibt." Kurz: "Es gibt keine Gefahr, jemand anderen beim Einkaufen zu infizieren.
Es gibt keine Gefahr, jemand anderem beim Einkaufen zu infizieren.
Als Beispiel für seine These führte der Virologe den ersten nachgewiesenen Fall aus Deutschland an. Zur Erinnerung: Hier hatte eine aus China eingereiste und infizierte Frau ihren Kollegen bei einem Firmenbesuch in Bayern unwissentlich angesteckt. Das Coronavirus breitete sich erst unter den Mitarbeitern, später dann in ganz Deutschland aus. Diese Frau hätte "im Hotel übernachtet, im Restaurant gegessen, aber nur die Mitarbeiter infiziert".
Und weiter: "Daher wissen wir, dass das Essen im Restaurant, das Arbeiten im Hotel nicht verantwortlich für die Infektion ist. Das Virus breitet sich über andere Orte aus: die Party in Ischgl, den Club in Berlin, das Fußballspiel in Bergamo."
Zu all diesen Anlässen hätten viel mehr Personen wesentlich engeren Kontakt gehabt. Und wenn nun alle in einem Fußballstadion eine Maske tragen würden, hakte Lanz nach. Wäre nicht dann zumindest ein Infektionsschutz gegeben? Doch Virologe Streeck musste verneinen. Der Grund: "Wenn alle ausgelassen feiern, wären die Masken so schnell durchfeuchtet, dass sie keinen Effekt mehr hätten." Nur am Anfang könnte man die Infektionsrate herunterschrauben.
Indirekt gab der Virologe Gastgeber Markus Lanz und dem ZDF-Publikum dann noch einen Appell an die eigene Solidarität mit auf den Weg: "Die WHO gibt auch keine generelle Empfehlung zur Maskenpflicht, weil im Moment einfach nicht genügend Ressourcen für alle vorhanden sind." Man solle sie lieber Kranken, Risikogruppen und Pflegepersonal zur Verfügung stellen.
Und was passiert hierzu in Südtirol?
Zuletzt ist in Südtirol zu einem Mund-Nasen-Schutz stark Gesundheitslandesrat Thomas Widmann in die Kritik geraten.
Als eine der wenigen Oppositionsparteien im Lande kritisierte das "Team K" den Gesundheitslandesrat. Laut "Team K" soll Widmann 300.000 "Anti-Coronavirus"-Halstücher (sog. Schlauchtücher), für einen Einkaufspreis von scheinbar 700.000 Euro zu Lasten des Sanitätsbetriebes, in Auftrag gegegen haben. Besonders zu bedenken gibt, so dass "Team K", dass Sanitätslandesrat Thomas Widmann der Cousin der Gebrüder Widmann ist, den Eigentümern von TEXmarket, dem Unternehmen, das vom Südtiroler Sanitätsdienst mit der Lieferung der Schlauchtücher beauftragt wurde.
Wieder also mal ein typischer Fall von Vetternwirtschaft in Südtirol?
Die Frage bleibt vorerst unbeantwortet, insbesondere nachdem Landeshauptmann Arno Kompatscher in den letzten Tagen eine Mund-Nasen-Schutz-Pflicht auch für ganz Südtirol angekündigt und verordnet hat. Gut folglich, dass wir hier in Südtirol Vorreiter mit den verteilten Hals-Nasen-Schutz-Tüchern waren, sagte Kompatscher etwa am 4. April während der Landesmedienkonferenz auf Fragen zu Journalisten, wohl wissend, dass mit dieser neuen landeseigenen Verordnung, die strenger ist, als etwa es die italienische Regierung vorschreibt, unbequeme Diskussionen um den Nutzen der fraglichen Aktion seines Kollegen in der Landesregierung vom Tisch sind (lesen Sie hierzu den Artikel "Derzeit keine Pflicht - Pflicht kommt aber").
Zurück aber zu Markus Lanz und seinem Talkgast, dem deutschen Virologen Hendrik Streeck.
Dieser sagte in der Talkshow nämlich, dass er inzwischen am meisten Covid-19-Patienten in Deutschland gesehen hätte, weil er vom Innenministerium in NRW gebeten wurde, die Diagnostik zu übernehmen und dabei von Haushalt zu Haushalt in Gangelt (Kreis Heinsberg) ging.
Seine erste Studie war die Studie, die zutage brachte, dass Patienten über Geruchs- und Geschmacksverlust berichteten. Nach dieser ersten Studie habe er erfahren, dass das Robert-Koch-Institut keinerlei Studien in den Hochburgen von COVID-19-Erkrankten durchführt und andenkt - was ihn sehr gewundert habe. Gemeinsam mit anderen Spezialisten der Bonner Uniklinik führt er jetzt selbst eine solche durch, um zu belastbaren Daten zu kommen. Damit will er erreichen, dass sich Maßnahmen, die langfristig getroffen werden müssen, auf klare Fakten stützen.
Würde Streeck seinen Kollegen den Virologen und engsten Berater deutscher Politiker und Behörden, Christian Drosten, kritisieren wollen, fragt Lanz seinen Studiogast. Dieser antwortet, dass er seinen Kollegen sehr schätzen würde. Als Virologe habe er jedoch ein anderes Spezialgebiet als Drosten: Während sich Drosten mit den Eigenschaften des Virus an sich auskenne, verfolge er mit seinen Kollegen, was das Virus mit den Menschen macht. Um das vorhandene Wissen zusammenzubringen, sei ein runder Tisch mit Experten nötig - den es bisher leider nicht gäbe. Und Steeck kritisert in leisen Tönen auch das Robert-Koch-Institut (RKI), in Deutschland die oberste Behörde für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten. Als Einrichtung der öffentlichen Gesundheitspflege hat das RKI die Gesundheit der Gesamtbevölkerung im Blick und ist eine zentrale Forschungseinrichtung der Bundesrepublik Deutschland.
Insbesondere kritisiert Streeck, dass die vom Robert-Koch-Institut als Grundlage herangezogenen Daten unzuverlässig sein könnten. Sein Vorwurf an die Bundesoberbehörde ist, dass das Institut die Chance zur Erhebung wichtiger Daten schlichtweg versäumt habe.
VOX-NEWS-Südtirol meint ein sehenswertes und interessantes Gespräch von Markus Lanz mit dem Virologen Hendrik Streeck. Zum Anschauen gibt es hier den Videomitschitt.