Als Sinnbild für Freiheit und Einsamkeit bewundert, aber auch als gierendes Ungeheuer verrufen und verfolgt: Das Verhältnis der Menschen zum Wolf ist sehr gespalten. Die einen tanzen mit ihm, die anderen wollen ihn tot sehen. In vielen Teilen Europas, so auch in Südtirol, waren die einst weit verbreiteten Raubtiere verschwunden, haben sich jetzt jedoch erneut angesiedelt. Südtirol scheint damit ein großes Problem zu haben.Die Stimmungsmache gegen den Wolf Was zuerst als Schützenhilfe für die einheimische Alm- und Viehwirtschaft gedacht war, hat sich zu einer Stimmungsmache gegen den Wolf entwickelt. Diese fängt bereits bei den Bildern an. Selten wurde von Seiten der Südtiroler Medien ein neutrales Wolfsbild veröffentlicht. Der Wolf erscheint auf nahezu allen Publikationen mit zähnefletschendem Maul, bereit, sofort zu töten. Inzwischen wurde aus der Stimmungsmache eine Art Hexenjagd gegen den Wolf. Von Seiten der Bauern, des Jagdverbandes, einiger Politiker, der meisten Medien und einiger Teile der Südtiroler Bevölkerung wird mit einer Leidenschaft gegen den Wolf vorgegangen, die in anderen Bereichen oft schmerzlich vermisst werden muss. Neutrale Informationen wurden dem Leser bisher fast ganz vorenthalten.
Ad absurdum geführt wurde das Ganze kürzlich mit der Aktion einer Südtiroler Tageszeitung. Diese hatte eine Umfrage unter ihren Lesern gestartet "für ein schaffreies oder für ein wolfsfreies Südtirol". Wenn eine Zeitschrift eine Online-Umfrage startet, also ihre Leser befragt, und das Ergebnis den Wunsch nach wolfsfreiem Südtirol ergibt, dann ist diese Umfrage wohl kaum als repräsentativ zu betrachten. Wer die eigene Schafsherde befragt, wird mit ziemlicher Sicherheit ein uniformes "Määäh" erhalten. Wenn dann noch "schafsfrei" oder "wolfsfrei" die einzigen Wahlmöglichkeiten sind und ein Viertel der Befragten sich ein "schafsfreies Südtirol" wünscht, darf man an Sinn und Zweck der Umfrage zu Recht zweifeln. Jäger und Bauern in blinder Zerstörungswut Mit Landesgesetz Nr. 11/2018 kann der Landeshauptmann zum Schutz der Berglandwirtschaft die Entnahme von Problembären und -wölfen anordnen. Vor einem Abschuss muss trotz Autonomiestatut jedoch noch ein Gutachten der staatlichen Umweltschutzbehörde ISPRA eingeholt werden. Benedikt Terzer, Präsident des Südtiroler Jagdverbandes, befürchtet, dass es mit dem Abschießen dadurch nicht schnell genug gehen könnte. Er befürchtet auch, dass Natur- und Umweltschützer zu Wort kommen könnten, würde man sich nicht an das ISPRA-Gutachten halten. Könnte man das Gutachten nicht direkt übergehen, wolle man mit der Behörde in Verhandlung treten. Terzer will das Abschießen so leicht wie möglich machen. Wenn es nach ihm ginge, würden alle Abschüsse einfach unter Art. 52 Abs. 2) des Autonomiestatus - die Dringlichkeitsverfügung - fallen, nach welchem bei Gefahr für die Öffentlichkeit ein Abschuss sofort und ohne weiteren Genehmigungen möglich ist. Das wäre einfacher und rechtlich sicher, so Terzer, bereits mit dem Finger am Abzug. Am Abdrücken hindert ihn noch Arnold Schuler. Wann würde eine Gefahr für die Öffentlichkeit bestehen und wer würde das bestimmen? Also gehe man doch lieber einen Schritt zurück in Richtung ISPRA-Verhandlungen. Von Demokratie will man in diesem Zusammenhang in einigen Reihen nicht viel wissen. Wolle man sich nicht mit einer staatlichen Behörde auseinandersetzen, so müsste es wenigstens eine eigene Südtiroler Behörde zur Unterschrift unter die Abschussgenehmigung geben, zusammengesetzt aus Bauernvertretern, den Weidetierhaltern, der Jägerschaft, aber auch aus Umwelt- und Tierschützern und kompetenten überregionalen und -nationalen Experten auf dem Gebiet "Wildtiere in Europa." Den Südtiroler Jägern eine freie Abschussbahn zu genehmigen wäre ein Hohn auf Südtirols Demokratie. Der Jagdverband und die Wolfsgegner suchen Hilfe beim Autonomiestatut, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Auch das erscheint befremdlich, denn das Thema betrifft nicht nur Südtirol, sondern ist ein europäisches. Ideal wären Richtlinien auf gesamteuropäischer Ebene unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten. An diese hätte sich dann auch Südtirol zu halten. Spricht man mit dem Bauern vor Ort, so scheint dieser auf die finanzielle Entschädigung, die er im Falle eines Wolfsrisses erhält, zu pfeifen. "Es geht viel mehr um den persönlichen Verlust der Tiere, den ich erleide, ich hänge ja auch an den Tieren", so ein Betroffener. Hätte die Mehrheit der Bauern plötzlich wirklich so viel Herz an Herz Gefühl mit ihren Tieren entwickelt, wäre das ein unglaubhaft großer Sprung in der Entwicklung. [caption id="attachment_15782" align="alignnone" width="900"]
Anti-Wolf-Kundgebung Mitte Juni in Sterzing mit 3.000 Teilnehmern[/caption] Manipulationen und Fehlinformationen Laut Agrarbericht 2018 stehen in Südtirols Ställen beziehungsweise auf den Weiden etwa 40.000 Schafe und 27.000 Ziegen. Vom Wolf gerissen wurden laut offizieller Angabe der Südtiroler Land- und Forstwirtschaft und laut eindeutigen und überprüften Nachweisen von März bis heute 85 Weidentiere. Es wäre interessant, diesen Zahlen andere gegenüber zu stellen, beispielsweise die Anzahl der Haustiere, die von einem viel zu schnell fahrenden Autofahrer getötet werden - übrigens auch kein schönerer Anblick als der eines gerissenen Schafes - und deren Besitzer nicht minder liebend sein dürften. Wollen wir dagegen nichts tun? Keinerlei Vorgehen in diesem Fall? Zum Abschuss frei geben? Es gibt sicher auch viele Südtiroler, die sich von zu schnell fahrenden Autos bedroht fühlen. Wie wär's mit einer Umfrage, für "katzenfreies" oder für "autofreies" Südtirol? "Spaß" beiseite. Keiner wird jemals daran zweifeln, dass in Ausnahmefällen auch der Abschuss eines Wolfes in Frage kommt - allerdings nicht ohne eingehende Prüfung des Sachverhaltes und nicht ohne Genehmigung eines Gremiums, in welchem unter anderem auch Artenschützer zu Wort kommen. Solche Ausnahmefälle im Sinne von verhaltensauffälligen Wölfen oder "Problemwölfen" hat es jedoch bis heute nicht gegeben. In einem so dicht besiedelten Raum wie in Südtirol ist es ganz normal ist, dass sich Wölfe auf ihren Streifzügen auch tagsüber Siedlungen nähern. Dass Wölfe hauptsächlich Fleischfresser sind und das Töten von Wild- wie Haustieren keine Form der Aggression, sondern schlichter Nahrungserwerb ist, versteht sich von selbst. Dies schließt auch das Reißen von einzelnen Nutztieren, die nicht ausreichend geschützt waren, mit ein. Maßnahme Nummer eins: Herdenschutzmaßnahmen. Bis vor wenigen Jahren erfolgte das Einzäunen einer Schafherde nur unter dem Gesichtspunkt der Ausbruchsicherheit, nicht aber zum Zweck des Schutzes vor Eindringlingen. Diese Art der Tierhaltung spielt dem Wolf in die Karten, denn er bevorzugt die Nahrung, die am leichtesten zu erbeuten ist. Ungeschützte Schafe sind leichter zu erlegen als frei lebende Hirsche. Um den Wölfen ihren Beutezug auf Nutztiere zu vermiesen, muss ein Elektrozaun mit bis zu 3500 Volt angebracht oder ein Herdenschutzhund eingesetzt werden. Da Herdenschutzhunde eigens für ihre Aufgabe ausgebildet werden müssen, ist diese Maßnahme nicht sofort anwendbar. Weitblick und Planung sind hier gefragt. Effektiver Herdenschutz ist eine komplexe Angelegenheit. Den Tierhaltern müsste ein eigens eingerichtetes Herdenschutzzentrum zur Verfügung stehen, welches ihnen auch in praktischer Hinsicht behilflich ist. Die Kosten für die Herdenschutzmaßnahmen müssten zur Gänze von der öffentlichen Hand übernommen werden. In Südtirol jedoch will man von Herdenschutzmaßnahmen nichts wissen. In die Schuld geschoben wird dies dem Bergtourismus, welcher darunter leiden würde. Dass die Bevölkerung, auch die Touristen, erst wieder lernen müssen, mit der Natur und damit auch mit dem Wolf zu leben, ist klar. Dass darin nicht das Hauptproblem liegt, genau so.
Bei uns hat eine solche Diskussion nie stattfinden könnenLuigi Spagnolli, Direktor des Landesamtes für Jagd und Fischerei
Luigi Spagnolli, Amtsdirektor des Amtes für Jagd und Fischerei, bringt es auf den Punkt: "Ein Leitfaden zu Herdenschutzmaßnahmen, wie es ihn in anderen europäischen Ländern gibt, kann nur mittels einer vorbereitenden Diskussion zwischen den betroffenen Interessensträgern - darunter die Bauern und Züchter, aber auch Tier- und Umweltschutzvereine und die Behörde der öffentlichen Hand - erstellt werden. Bei uns hat eine solche Diskussion bis jetzt nie starten können, weil die Bauern und Züchter einerseits die Veranstaltungen und die mit lauter Stimme ausgedrückten Erklärungen gegen den Wolf bevorzugen, und weil die Tier- und Umweltschützer andererseits - insbesondere die italienischer Muttersprache - sich nicht einmischen, bevor Entscheidungen getroffen werden, gegen die sie dann eventuell in verschiedenen Formen protestieren können." "Es braucht eine demokratisch normale Verdauungszeit für alle Beteiligten, und diese hängt von verschiedenen Empfindlichkeiten ab, die in diesem Fall mit ganz besonderen Emotionen in Verbindung stehen", sagt Spagnolli. So weit, so gut. Allerdings sollte diese "Verdauungszeit" von anderen Interessensgruppen nicht dazu genutzt werden können, schnellstens an allen Hindernissen vorbeizugaloppieren. Wölfe im Recht Fakt ist, dass Wölfe auf europäischer und internationaler Ebene einen hohen Schutzstatus haben. Dieser verpflichtet auch Südtirol zur Fürsorge. Ein konfliktarmes Miteinander von Weidetierhaltung und Wolf ist - laut mehrerer europäischer Naturschutzorganisationen - keine Utopie, sondern möglich. Zu hoffen wäre, dass sich auch Südtirol mit dieser Möglichkeit näher auseinandersetzt und dass für ein naturbelassenes Südtirol, im Sinne von Mensch, Schaf und Wolf, die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings der Sieg von Vernunft, Offenheit und globalem Verständnis über die Angst und über die niedere Lust am Hexenjagen. Wer sich abseits von der bisher recht einseitigen Südtiroler Berichterstattung informieren möchte, hier ein paar Links: Eurac, Institut für Regionalentwicklung, Dossier: Der Wolf in Südtirol Der "Wolfspark" - ein Zoo rund um Wölfe in Deutschland, Dörverden (Niedersachsen): Der Wolfspark Fachartikel auf der Homepage von "EuroNatur - Stiftung Europäisches Naturerbe": Wolfschutz in Europa Biodiversität - Natur und Umweltschutz in Südtirol: Artikel "Die Rückkehr des Wolfes"