Landauf landab haben die Medien in den letzten Tagen über das traurige Unglück in Luttach berichtet. Ein junger alkoholisierter Autofahrer raste in eine Gruppe Jugendlicher. Es starben 7 junge Menschen. Weitere 10 Personen wurden teils schwer verletzt. Leider wurde das Unglück von einigen Medien als gefundene Beute auseinandergenommen bis zum letzten dünnen Knochen. Journalistische Regeln und moralische Bedenken verschwanden wie eine bleierne Ente in der Versenkung angesichts dieser unglaublichen "Story mit Potential" – die Leser würden sich auf jede Berichterstattung stürzen wie die Geier und außerdem würde sie genug hergeben für jede Menge Folgeartikel. Ein Wettrennen war angesagt: Wer berichtet mehr und vor allem: wer legt das erste Ei, wer hat die Nase ganz vorn beim Veröffentlichen von neuen Informationen? Wie Schnäppchenjäger am Wühltisch versuchten die Medien, das beste zu ergattern – leider auch mit unlauteren Methoden und mit horrenden Machenschaften zum Fremdschämen, jedenfalls für uns von VOX NEWS Südtirol. Sogar rechtliche Bestimmungen wurden teilweise weit in den Wind geschlagen. Das Foto des Unfallfahrers, gemeint ist das Selfie des Mannes mit Sonnenbrille, hätte nach italienischem Recht nicht veröffentlicht werden dürfen. Jedenfalls nicht ohne die Genehmigung des jungen Mannes aus Kiens. Zwar sieht das italienische Urheberrechtsgesetz aus dem fernen Jahre 1941 vor, dass die Zustimmung zur Vervielfältigung nicht erforderlich ist, wenn die Abbildung mit Ereignissen, Geschehen in Zusammenhang steht, die von öffentlichem Interesse sind oder in der Öffentlichkeit stattgefunden haben, doch - so heißt es im Gesetz - "das Bildnis darf jedoch nicht ausgestellt oder in den Handel gebracht werden, wenn dies der Ehre, dem Ruf oder aber der Würde der abgebildeten Person abträglich wäre." Und beim erwähnten Sonnenbrillen-Bild des Unfallfahrers sollten nach Ansicht und Überzeugung dieser Redaktion diese Kriterien erfüllt sein. Das Bild ist eines von vielen Bildern des Luttacher Unfalllenkers, hinterlegt in der Fotogalerie des persönlichen Facebook-Profiles des jungen Mannes. Die betreffenden Redaktionen hätten somit, da mehrere Bilder zur Auswahl standen, auch ein anderes Bild verwenden können und nicht ausgerechnet jenes Bild mit der Sonnenbrille. Es sei angemerkt, dass sich im bekannten Sonnenbrillenfoto des Autofahrers ein leeres Bierglas spiegelt, was die Leser zur Annahme führen könnte, auch in Zusammenhang mit dem unvorteilhaften Gesichtsausdruck des Betreffenden im Moment der Selbstaufnahme, der Mann wäre ein notorischer Trinker. Doch offensichtlich wollten die Medien, die das Bild veröffentlicht haben, diese Darstellung über den Verantwortlichen der Tragödie in Luttach so haben. Um es klarzustellen: Keinesfalls will diese Redaktion die schwerwiegende Tat des 27-jährigen Pustertalers schönreden, doch jeder Mensch, auch der Unfallfahrer von Luttach, hat das Anrecht auf eine Berichterstattung, welche die Würde der betreffenden Person respektiert. So ist es auch im nationalen berufsethischen Kodex in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten bei der Ausübung der journalistischen Tätigkeit festgeschrieben. Art. 8 – Schutz der Menschenwürde 1. Unbeschadet der Wesentlichkeit der Informationen verbreitet der Journalist keine Meldungen über oder Bilder von Personen, über die berichtet wird, falls sie die Menschenwürde verletzen, noch geht er auf Details von Gewalttaten ein, es sei denn, er ist der Auffassung, dass die Meldungen oder Bilder von gesellschaftlicher Bedeutung sind. Angesichts einer zunehmend ausufernden Berichterstattung sieht sich auch der Rechtsstaat verstärkt gefordert die Grenzen zwischen dem Recht auf freie Berichterstattung und den Persönlichkeitsrechten einer Person, wie dem Recht auf Privatsphäre, besser zu definieren. Häufig geschieht dies über Rechtsstreitigkeiten, welche schlussendlich vor den Höchstrichtern am Kassationsgerichtshof in Rom landen. So hat beispielsweise die fünfte Strafsektion des Kassationsgerichtshofes mit Urteil Nr. 3674 vom 1 Februar 2011 (vorsitzender Richter Calabrese, Berichterstatter Bevere) festgelegt, dass die Berichterstattung über eine Person, gegenüber welche strafrechtliche Ermittlungen stattfinden, sich strikt an den Verlauf eines Verfahrens halten muss. "In einer Gerichtsberichterstattung kann über Gerichtsakten und der Geheimhaltung unterliegende Akten, welche von Behörden kommen, berichtet werden, aber es ist nicht gestattet, Rekonstruktionen, Analysen, Bewertungen durchzuführen, die darauf abzielen, polizeiliche und gerichtliche Aktivitäten zu unterstützen und ihnen vorzugreifen, unabhängig von den Ergebnissen dieser eigenen Aktivitäten." Mit anderen Worten, Medien dürfen berichten, aber sie müssen sich gegenüber einer beschuldigten Person, gegen welche Ermittlungen geführt werden, ausschließlich an die von Behörden bestätige Faktenlage halten. Vermischt der Journalist die Faktenlage mit gerichtlich nicht bewiesenen Spekulationen über die Hintergründe zur Tat oder unternimmt er sogar Prognosen über den Ausgang des Gerichtsverfahrens, nimmt er eigenständig und überzeugt von der Schuld eines Beschuldigten den Ermittlungsausgang vorweg, dies auch angesichts von offiziellen Ermittlungen, welche erst begonnen haben und noch nicht abgeschlossen worden sind. Erschwerend kommt hinzu, dass der Journalist Sachverhalte veröffentlicht, ohne dass er die Zuverlässigkeit seiner privaten Ermittlungen und die Übereinstimmung mit der historischen Wahrheit beweisen kann. Dem Betroffenen droht - so die Höchstrichter in Rom - die Vorverurteilung, gegen die sich der Betroffene nur mittels einer Strafanzeige wegen Diffamierung zur Wehr setzen kann. Die Höchstrichter schließen in ihrem Urteilsspruch: "In einer Demokratie daher jedem seine Rolle: den Ermittlern die Aufgabe die Erhebungen durchzuführen, den Richtern die Aufgabe die Stichhaltigkeit der Ermittlungsergebnisse zu überprüfen und den Journalisten die Aufgabe darüber im Rahmen ihres Berichterstattungsrechtes zu berichten, ohne jedoch dabei Einflussnahme auf die Meinung der Gemeinschaft zu nehmen." Angesichts dieser klaren Rolle, die die Medien in der Berichterstattung einzunehmen haben, wird klar welche Ausuferung in der Berichterstattung zum tragischen Unfall in Luttach stattgefunden hat. Keine Scham hatte man auch offensichtlich ganz falsche Informationen an die Öffentlichkeit zu geben. Beispielsweise wurde von nahezu allen Medien berichtet, dass der Luttacher Unfalllenker 1,97 also fast 2 Promille Alkohol intus hatte. Dies ist aber falsch. In ihrer Presseaussendung vom 5. Januar 2020 bestätigte die Staatsanwaltschaft Bozen einen Mindestgehalt von 1,97 g/l Alkohol im Blut des Unfallfahrers. Schlichtweg übersehen wurde bei der Berichterstattung, dass die Angabe der Blutalkoholkonzentration in g/l (Gramm pro Liter) nicht identisch mit Promille (Milligramm Alkohol pro Gramm Blut) ist. Wurde der Ethanolgehalt im Serum oder Plasma des Unfalllenkers getestet, so ist eine Umrechnung vorzunehmen. 1,97 g/l steht dann für eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille. Aber auch hier ist klar, das ändert nicht viel an der Fahruntüchtigkeit des Unfalllenkers und das derselbe in einem derart alkoholisierten Zustand in jener verhängnisvollen Nacht niemals sich hinter das Steuer seines Fahrzeuges setzen hätte dürfen. Ein weiterer Sachverhalt, welcher von der Sensationspresse schlichtweg einfach übersehen wurde, ist jener, bestätigt durch Zeugenaussagen und die Rechtsanwälte des Fahrers, dass der Unfallfahrer nach dem Unfall aus dem Fahrzeug ausgestiegen ist und versucht hat, aufgrund von erworbenen Erkenntnissen eines abgeleisteten Erste-Hilfe-Kurses, eines der Opfer wiederzubeleben. Der Sachverhalt passt einfach nicht in das Bild eines "Totrasers", welches die betreffenden Medien mehrere Tage nach dem Unfall in der breiten Öffentlichkeit gezeichnet haben.
Liebe Bild, wie kann das passieren? Ich bin am Leben und es wird wahllos ein Bild von mir ins Netz gestellt, obwohl ich gar nicht betroffen bin? Habt ihr sie noch alle?"
Damit nicht genug: Den Vogel komplett abgeschossen aber hat die BILD-Zeitung. Bericht erstattet wurde in der "BILD" im großflächigen Stil. Neben der gedruckten Ausgabe entsandte die BILD-Zeitung ein eigenes Redaktionsgeschwader, welches am Dreikönigstag in der Online-Ausgabe sogar mehrfache Liveschaltungen tätigte. Titel wie "Der Totraser von Südtirol" oder "Suff-Crash mit 7 Toten" prägen sich nachhaltig in die Erinnerung mit diesem Unfall ein. Die Hauptseiten der Printausgabe zugetextet mit einer Tragödie. Und natürlich mischt die BILD auch beim Veröffentlichen der Fotos der Unfallopfer ganz vorne mit. Was dann aber durch einen BILD-kritischen Blog bekannt wurde, bringt das Fass zum Überlaufen: es wurde das Foto einer angeblich beim Unfall verstorbenen jungen Frau veröffentlicht – unverpixelt – die mit dem Unfall überhaupt nichts zu tun hat. Die Frau war nie in Südtirol und vor allem: sie lebt. Auf Facebook schrieb die Frau: "Liebe Bild, wie kann das passieren? Ich bin am Leben und es wird wahllos ein Bild von mir vor gefühlt 8 Jahren ins Netz gestellt, obwohl ich gar nicht betroffen bin? Habt ihr sie noch alle? Schlimm genug, dass ihr mit der Story Kohle verdient!" [caption id="attachment_19825" align="aligncenter" width="799"] Ausschnitt aus dem Artikel auf Bildblog.de[/caption] Mittlerweile hat BILD.de das Foto der betreffenden Frau herausgenommen und das Bild einer anderen jungen Frau eingesetzt. Dass auch dieses daraufhin wieder ausgetauscht wurde, lässt die Vermutung aufkommen, dass es sich auch dabei nicht um das Bild des wirklichen Unfallopfers handelte. So schob und mixte sich die BILD immer wieder eine Riesen-Aufmachung zusammen. Auch das Nichtverpixeln der Fotos und spätere Verpixeln, oft und öfters geschehen, könnte auf eine kümmerliche Korrektheit schließen lassen. Zuerst wird freizügig veröffentlicht, dann erst, bei Klagen, wird wieder zurückgenommen. Wobei sich ein Zurücknehmen auf der Print-Ausgabe als schwierig erweist und die Exemplare am Kiosk halt in millionenfacher Auflage fehlerhaft an die Leser gelangen, einschließlich Foto einer quicklebendigen jungen Frau, skrupellos über die seidene Schnur geschickt. Kann man nix machen. Geld verdient wird damit trotzdem, denn die BILD-Zeitung, mit knapp 1,5 Millionen verkauften Exemplaren, finanziert sich über den Verkauf ihrer redaktionellen Produkte – was natürlich nicht rechtfertigt, dass nicht nur jede Grenze des guten Geschmacks übertreten, sondern auch über Leichen und völlig unbeteiligte Lebende gestiegen wird wie auf Minenfeldern. Nur gut, dass nicht jeder Leser skandalsüchtig ist. So wurde im Falle des Unglücks in Luttach auch die Art der Berichterstattung einiger einheimischer Medien kritisiert. Die BILD-Zeitung heimste von Seiten ihrer Leser harsche Kritiken ein und sicher auch juristische Klagen – aber dies wird der Medienkrösus wohlweislich abgewägt und einkalkuliert haben. Traurig, wenn sich ein derart unethisches Vorgehen auch noch bezahlt macht. (kre, ts)