Als Andreas Unterkircher, seines Zeichens Obmann der Autonomen Gewerkschaftsorganisation der örtlichen Körperschaften in Südtirol AGO, ausgerechnet am 30. April, also dem Tag vor dem 1. Mai, dem Hochfest der Gewerkschaften und dem "Tag der Arbeit", das von der Generaldirektion der Autonomen Provinz ausgearbeitete Einvernehmensprotokoll der "Öffentlichen Delegation" (Landesverwaltung, Südtiroler Gemeindenverband und Sanitätsbetrieb) zur Ansicht zugeschickt bekam, platzte ihm nach Durchsicht des Vertragswerkes der Kragen. "Auf eine solche Autonomie können wir gerne verzichten – die Sklaverei ist wohl schon lange abgeschafft", polterte es aus dem Sitz der Gewerkschaft. "Entgegen jeder Regel und jeder Gesetzesbestimmung würde der Corona-Notstand gezielt ausgenutzt werden, um die Rechte der öffentlichen Bediensteten zu beschneiden“, sagt Unterkircher.
Ein paar Beispiele:
Aufgrund der Corona-Krise werden in der Stadtgemeinde Meran die Bediensteten angehalten, vor dem Start zur Arbeit zu Hause das Fieber zu messen. Auf diese Weise möchten sich die Führungskräfte in Meran von der Verantwortung drücken, kritisiert Unterkircher. Denn vorgeschrieben sei das Fiebermessen nämlich durch den Arbeitgeber beim Eintritt zur Arbeitsstelle.
Weiters fordert die Generalsekretärin der Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt, dass einzelne Bedienstete im Büro arbeiten müssen, obwohl eine Telearbeit (wie vom Conte-Dekret vorgesehen) problemlos möglich sei. Sie selbst arbeitet jedoch auch im sogenannten "Smart Working" (Telearbeit), lässt dies anscheinend bei den untergeordneten Angestellten aber nicht gelten.
Was den Vogel aber vollständig abschießt, ist der Fall einer Köchin der Gemeinde Schlanders. Ohne deren Befragung und Einverständnis wurde sie mittels Anweisung dazu verdonnert in der Gemeinde Meran ihren Dienst zu leisten, obwohl sie einen Arbeitsvertrag mit der Gemeinde Schlanders hat!
Es sind dies zurzeit die Zustände, welche die territorialen öffentlichen Arbeitgeber, die Landesverwaltung, die Gemeinden und der Südtiroler Sanitätsbetrieb aufgrund der Corona-Krise ihren Beschäftigten aufbürden. Und damit auch alles rechtens sei, haben die öffentlichen Verhandlungspartner, die sogenannte "Öffentliche Delegation", bestehend aus Spitzenvertretern der Landesverwaltung, des Gemeindeverbandes und des Südtiroler Sanitätsbetriebes, im Rahmen der Verhandlungen zum BÜKV (Anm. d. R.: des Bereichsübergreifenden Kollektivvertrages) der Autonomen Gewerkschaftsorganisation AGO, dem Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbund ASGB, dem Gewerkschaftsbund CGIL-AGB, dem Südtiroler Gewerkschaftsbund SGB-CISL, der Gewerkschaft UIL-SGK, und "Nursing Up", der nationalen Gewerkschaft der Krankenpfleger/innen, ein Covid-19-Einvernehmensprotokoll vor die Nase geknallt, welches nach der "Friss-oder-stirb"-Methode nun zu unterzeichnen wäre.
In der Tat regelt das am 29. April 2020 von der Generaldirektion der Autonomen Provinz Bozen erstellte Dokument mehrere arbeitsrechtliche Sonder- bzw. Ausnahmebestimmungen, so zum Beispiel kann das Personal, welches nicht die Möglichkeit hat, seine Arbeitstätigkeit am eigenen Dienstsitz auszuführen, berufen werden, diese oder ähnliche Arbeitstätigkeiten an einem anderen Dienstsitz der Körperschaft oder, aufgrund eines spezifischen Antrags, an einem Dienstsitz einer anderen Körperschaft desselben Bereichs auszuführen, sofern die absolute Notwendigkeit dafür besteht, um den Covid-19-Notstand zu bekämpfen. Der oder die betroffene öffentliche Bedienstete müsste entsprechend dieser Bestimmung, dank des Covid-19-Notstandes, nicht um seine Einwilligung befragt werden. Theoretisch könnte somit eine in der Gemeinde Reschen beschäftigte Mitarbeiterin per Weisung ihres Vorgesetzten in die Gemeinde Innichen versetzt werden, um dort ihre Arbeitsleistung zu erbringen.
Andererseits wird im Einvernehmensprotokoll die Möglichkeit festgeschrieben, dass die unerlässlichen und nicht aufschiebbaren Tätigkeiten, welche vor Ort am Arbeitsplatz durchgeführt werden müssen, und ebenso die Tätigkeiten, welche in der Smart-Working-Modalität durchgeführt werden können, unter Zuhilfenahme der Prinzipien der Turnusse und/oder der Rotation auf das betroffene Personal verteilt werden. Dies, um abgestufte Eingangs- und Ausgangszeiten vorzusehen, um Kontakte in den gemeinschaftlichen Räumlichkeiten weitestgehend zu vermeiden. Anderseits können die öffentlichen Verwaltungen die Tätigkeiten wiederum festlegen, welche nicht in der Smart-Working-Modalität durchgeführt werden können und punktuell die unerlässlichen und nicht aufschiebbaren Tätigkeiten bestimmen, welche vor Ort am Arbeitsplatz durchgeführt werden müssen. Mitsprache der Bediensteten schaut in Corona-Zeiten auch im öffentliche Dienst wohl anders aus.
Bezüglich der Covid-19-Krisen-bedingten Freistellungen durch Institute, wie Inanspruchnahme von angereiften, nicht genossenem ordentlichem Urlaub, Zeitausgleich geleisteter, nicht ausgeglichener bzw. ausbezahlter Überstunden, Sonderurlaub aus schwerwiegenden Gründen etc. fällt insbesondere ein sogenanntes "negatives Zeitkonto" auf, bei welchem die öffentlichen Bediensteten durch Anhäufen von nicht geleisteten Stunden, aufgrund sogenannter "toter" Zeiten, welche auf den Notstand zurückzuführen sind, in ein Schuldenzeitkonto im Ausmaß eines Stundenbergs von höchstens zwei Arbeitswochen erfasst und von der Arbeit freigestellt werden. Mit anderen Worten, die dem öffentlichen Arbeitgeber aufgrund von Corona-Krisen-bedingter Untätigkeit geschuldeten Stunden, müssen nachgeholt werden. So sieht das Einvernehmensprotokoll für die öffentlichen Bediensteten während der Zeit des Covid-19-Notstandes vor, dass nach Ende des Notstandes die auf dem Schuldenzeitkonto angehäuften Negativstunden innerhalb 2021 eingeholt werden müssen. Ein hierzu zu erstellender Plan soll die dienstlichen Erfordernisse als auch die persönlichen Notwendigkeiten des betroffenen Personals berücksichtigen.
Diese und andere Punkte im Einvernehmensvertrag haben beim AGO-Obmann Andreas Unterkircher das Fass zum Überlaufen gebracht. Als ob es nicht schon genug wäre, dass bestimmte öffentliche Bedienstete, unabhängig von der ohnehin festzustellenden schlechten Bezahlung, wie die Pflegekräfte in den Senioren- und Wohnheimen, sowie das Gesundheitspersonal in den Intensivstationen der Krankenhäuser sowie in den dort speziell eingerichteten Covid-Abteilungen derzeit Übermenschliches leisten müssen, nun auch noch in ihren Rechten mehr als unverhältnismässig geknebelt und eingeschränkt werden.
Und so muss in der Tat die Frage erlaubt sein, wie die öffentlichen Verwalter (Landesverwaltung, Gemeinden und ausgerechnet der Südtiroler Sanitätsbetrieb) mit seinen Bediensteten umgeht. Während in Bayern, wegen der Zusatzbelastungen in der Coronakrise, Vollzeitbeschäftigte in der Altenpflege mit dem Juli-Gehalt eine Prämie von 1.500 Euro bekommen werden und in ganz Deutschland auch in anderen systemrelevanten Berufen Corona-Dankesprämien geplant und vorgesehen werden, während sich im März auch hierzulande noch zahlreiche Menschen zu bestimmten Uhrzeit auf den Balkonen ihrer Wohnungen verabredet haben, um mit Applaus den systemrelevanten Berufen Rückhalt und Dank zu zollen, werden die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst in Südtirol unter Bedingungen gehalten, welche der AGO-Obmann Andreas Unterkircher mit einer Versklavung der Arbeitnehmer gleichtstellt.
Am 1. Mai schreibt Unterkircher an seine Mitglieder:
"Sehr geehrte Mitglieder unserer Autonomen Gewerkschaftsorganisation AGO,
leider haben wir dieses Jahr am 1. Mai keinen Grund zum Feiern. Nicht nur wegen der gegenwärtigen "Corona-Virus-Krise" vergeht uns die Lust am Feiern, sondern vor allem durch das autoritäre und diktatorische Vorgehen der öffentlichen Delegation bei den Verhandlungen zum BÜKV sehen wir keinen Grund dafür.
So hat der Generaldirektor des Landes ein Einvernehmensprotokoll nach dem Motto "friss oder stirb" zur Unterschrift vorgelegt, welches im völligen Widerspruch zu den staatlichen Vorgaben steht. Da zum festgelegten Termin keine Gewerkschaft diese Vorlage unterschrieben hat, versucht die Landesverwaltung jetzt über den "politischen Weg" mit einer namentlichen Einladung an die Landessekretäre/vorsitzenden von CGIL, CISL, UIL und ASGB dieses "Einvernehmen" zu finden. Auf eine solche Autonomie mit Ausnutzung der Arbeiter und Angestellten können wir gerne verzichten! In diesem Protokoll ist festgehalten, dass zum Beispiel ein/e Bedienstete/r ohne Einverständnis von der Gemeinde Innichen in die Gemeinde Reschen versetzt werden könnte, ohne dabei auf irgendwelche Rechte der/s Angestellten einzugehen. Wollen wir denn in Südtirol eine Leibeigenschaft oder Sklaverei einführen?
In der Praxis sehen wir an vielen Beispielen in unserem Land, dass die gegenwärtige Krise bewusst gegen unsere Interessen ausgenützt wird.
In der Stadtgemeinde Meran z.B. werden die Arbeiter angehalten, vor dem Start zur Arbeit zu Hause das Fieber zu messen und dies in einer Eigenerklärung festzuhalten. Diese Pflicht zum Fiebermessen vor Arbeitsantritt bestünde aber für die Gemeindeverwaltung, die sich der Verantwortung entledigt.
Ein weiteres Beispiel haben wir in der Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt, wo die Generalsekretärin selbst die Telearbeit beansprucht, diese aber anderen Bediensteten verwehrt. Dieselbe Führungsfrau wollte bereits eine Angestellte ohne deren Einverständnis und im Widerspruch zu allen geltenden Gesetzesbestimmungen von einer Körperschaft zur anderen versetzen. Soweit haben wir es in Südtirol mit unserer Autonomie schon gebracht.
Nichtsdestotrotz werden wir auch weiterhin gegen diese ungesetzlichen Vorgänge kämpfen und notfalls auch bei Gericht das Recht unserer Mitglieder einfordern. Für diesen Zweck ist unsere Gewerkschaft gegründet worden und dazu sind wir da.
Mit unseren kollegialen Grüßen zum 1. Mai verbleibe ich in Verbundenheit Euer Landesvorsitzender, Dr. Andreas Unterkircher"
VOX-NEWS-Südtirol-Quellenverweis:
Der Stein des Anstoßes: Das von der "Öffentlichen Delegation" den Gewerkschaften vorgeschlagene Einvernehmensprotokoll - zur Ansicht im PDF-Format: hier