Mieten werden teurer. Es sind nicht genügend Sozialwohnungen vorhanden. Die Zahl der Menschen ohne Dach über dem Kopf wächst. Das erfahren die Mitglieder des Vereins „housing first EO“ in ihrem täglichen Tun im dormizil. Noch bis Mitte April 2023 erhalten dort 25 Menschen aus 13 Herkunftsländern ein warmes Bett im kalten Winter. Doch weitere 100 Menschen müssen draußen bleiben. Abend für Abend klopfen Menschen an die Tür des Nachtquartiers gegenüber dem Bozner Busbahnhof, weil sie dringend einen Schlafplatz suchen. Von öffentlichen und privaten Einrichtungen kommen ständig Anfragen für Neuaufnahmen. Aber bereits mehr als 40 Personen befinden sich auf der Warteliste des Winter-dormizils.
Da es manche Menschen nicht schaffen, ihre Lebenssituation grundlegend zu ändern und daher obdachlos bleiben würden, geht das Konzept Housing First einen neuen Weg. Vorstandsmitglied Paul Tschigg erklärt den Unterschied zur herkömmlichen Obdachlosenarbeit: Beim Konzept ‚Housing First‘ müssen die obdachlosen Menschen nicht unter Beweis stellen, dass sie alleine leben können. Ganz am Anfang stehe die eigene Wohnung, in der die Menschen langfristig bleiben können. Der Vertrag gelte bedingungslos. „In die Wohnung eingezogen, können die Menschen ihre Probleme wie zum Beispiel Sucht oder psychische Erkrankung der Reihe nach angehen.“ Dabei werden sie von den zuständigen Einrichtungen, von Sozialdiensten, aber auch von Freiwilligen begleitet. Neun obdachlose Menschen erhalten im neu umgebauten dormizil eine kleine Wohnung. Aufnahme finden Menschen, die seit Längerem auf der Straße leben, die keinen Wohnsitz haben, die italienische Staatsbürger*innen sind oder eine langfristige Aufenthaltsberechtigung in Italien haben. Es werden Menschen aufgenommen, die kein Anrecht auf eine Sozialwohnung oder Unterstützung haben, weil sie durch das Raster der öffentlichen Verwaltung fallen und keine Möglichkeit haben, ihre Grundrechte zu erlangen. Je nach Einkommen müssen sie einen Spesenbeitrag leisten. Nicht aufgenommen werden können Personen mit schweren psychischen, psychiatrischen oder körperlichen Erkrankungen oder mit Pflegebedarf.
In der Übergangswohnung im Dachgeschoss können bis zu fünf Menschen in Notschlafbetten schlafen. Außerdem können obdachlose Menschen der Stadt im Tiefparterre des neuen dormizil Dusch- und Waschräume nutzen. Um das Haus für die Bevölkerung zu öffnen, steht im Parterre ein Veranstaltungsraum bereit, der für verschiedene Events genutzt werden kann, sowie ein Büro für Sozialarbeit. Der Garten soll für alle zugänglich sein.
Architektin Birgit Dejaco aus Brixen wird den Umbau mit dem Bozner Architekt Markus Lunz begleiten. Sie erklärte bei der heutigen Pressekonferenz, dass in diesem Haus Menschen, die von der Gesellschaft keine Wertschätzung erfahren, viel Respekt und Wertschätzung entgegengebracht wird. „Ich sehe die Architektur als ein weiteres Mittel, um diese Wertschätzung gegenüber den Gästen auszudrücken. Hochwertige Architektur auch und besonders für die Ärmsten!“, ist Birgit Dejacos Credo. Das sei das Wertvollste, was Architekt*innen geben können.
Das dormizil befindet sich inmitten in der Stadt. Vereinsvorsitzende Magdalena Amonn betonte, dass Gebäude zwar das Recht hätten, sich an der Stadt und ihren Infrastrukturen zu bedienen, aber sie hätten auch die Pflicht, etwas zurückzugeben: „Das dormizil will mit den Menschen der Straße in Kontakt treten.“ So ist teilweise Durchsicht bis in den Garten geplant. Das mache das dormizil zu einem interessanten Objekt in der Straße und belebe den Straßenraum. In der Erdgeschoßzone werden die Fenster so gestaltet, dass sie innen- und außenseitig zu Sitzgelegenheiten werden, erklärte Birgit Dejaco. So soll sich das dormizil mit der Stadt verzahnen. Architekt Markus Lunz hat die Rechnung gemacht. Rund 1,3 Millionen Euro wird der Umbau kosten: „Das in die Jahre gekommene Haus erfordert die Durchführung außerordentlicher Instandhaltungs- und Sanierungsarbeiten. In diesem Zuge werden auch Arbeiten durchgeführt, um das Gebäude energetisch und unter dem Aspekt der Zugänglichkeit für Menschen mit Einschränkungen auf Vordermann zu bringen. Die Bruttogeschoßfläche des Eingriffs umfasst knapp 900 m².
Jetzt gilt es, die notwendigen finanziellen Mittel zu finden. Die Vereinsmitglieder bitten um Unterstützung und plädieren an die Bevölkerung: „Gesellschaft kann nur existieren, wenn jede*r etwas beiträgt“, sagen sie. In Südtirol würden viele tausend Menschen Verantwortung übernehmen und würden die Gesellschaft positiv verändern. Freiwilliges Engagement sei ein Geschenk an die Gesellschaft. Der Verein „housing first bozen EO“ lädt jetzt Betriebe und Privatpersonen ein, den Umbau des dormizils mit Materialien, Arbeitskraft, Ideen und Spenden zu unterstützen. Gerne stellen die Vereinsmitglieder das Projekt an Schulen, in Pfarreien und bei anderen Veranstaltungen vor. „Bauen Sie am neuen dormizil mit“, rufen die Vereinsmitglieder auf. „Zeigen wir wir uns von der solidarischen Seite und tun wir uns zusammen im Einsatz für die Schwächsten der Gesellschaft!“ Das sei in dieser Krisenzeit notwendiger denn je.
Ein verbauter dormizil-Ziegel kostet 30 Euro, ein verbauter m² 1.500 Euro, 1 von 5 Notschlafbetten 25.000 Euro, 1 von 9 Wohnungen 95.000 Euro, 1 von 9 Wohnungseinrichtungen 12.000 Euro, der Duschraum 20.000 Euro, der Waschraum 20.000 Euro, der Veranstaltungsraum 70.000 Euro, das Büro für Sozialarbeit 40.000 Euro, der Aufzug 45.000 Euro und der Innenhof samt Radabstellplätzen und Müllsystem 20.000 Euro.
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Spenden können an den Verein „housing first bozen EO“ unter dem Kennwort „Umbau“ auf das Konto bei der Raiffeisenkasse Bozen überwiesen werden. IBAN: IT 22 I 08081 11601 000301004930. Bezahlungen per Paypal und Kreditkarte sind über die Webseite www.dormizil.org möglich, wo auch alle weiteren Infos vorhanden sind. Telefonische Auskunft erhalten Interessierte unter T. +39 335 747 0861 und per Mail an support@dormizil.org.
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Der Verein „housing first EO“
Im Oktober 2020 haben engagierte Bozner Privatpersonen (Magdalena Amonn, Paul Tschigg, Christian Anderlan, Sigrid Bracchetti, Norbert Pescosta, Wolfgang Aumer, Martina Schullian, Verena von Aufschnaiter und Birgit Bragagna Spornberger) den Verein housing first bozen EO gegründet. Der Verein will Wohnungs- und Obdachlosigkeit in der Landeshauptstadt nachhaltig bekämpfen, neue Lösungsansätze nach Südtirol bringen und die Gesellschaft zum herausfordernden Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit sensibilisieren. Auf der schwierigen Suche nach einer passenden Immobilie ist es den Vereinsmitgliedern gelungen, die Haselsteiner Familien-Privatstiftung zu gewinnen: Diese hat dem Verein in der Rittner Straße 25 ein dreistöckiges Haus für 30 Jahre kostenlos als Leihgabe für den Dienst an obdachlosen Menschen zur Verfügung gestellt. Es wird im kommenden Jahr 2023 in neun dauerhafte Kleinwohnungen für obdachlose Menschen umgebaut.