VOX NEWS Südtirol: Herr Prof. Tscharntke, Bio-Produkte sind im Vormarsch und inzwischen in jedem Regal anzutreffen. Wie muss man sich denn einen Öko-Betrieb heute vorstellen?
Prof. Dr. Teja Tscharntke: Natürlich gibt es im ökozertifizierten Anbau eine zunehmende Spezialisierung und Intensivierung, idyllische Familienbetriebe gibt es immer weniger. Öko-Monokulturen sind heute oft ähnlich groß wie bei konventionellen Betrieben, und Gemüse wird oft unter Glas angebaut, auf Kosten der Artenvielfalt. Im mediterranen Raum werden ganze Landschaften für den Gemüseanbau mit Plastikplanen abgedeckt und damit zerstört - mit einem stark ansteigenden Anteil an Öko-Zertifizierung.
VNS: In der Agrarlandwirtschaft geht es ja vor allem auch um Biodiversität. Man hat schon den Eindruck, dass die Alternative zur konventionellen Landwirtschaft eben der ökologische Landbau ist. Ist das so richtig?
Prof. Dr. Teja Tscharntke: Die Zertifizierung der ökologischen Produktion beschränkt sich weitgehend auf das Verbot synthetischer Agrochemikalien. Das führt zu hohen Ertragsverlusten und die Vorteile für die Biodiversität sind begrenzt. Dagegen gehören zu den sehr erfolgreichen Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität die Diversifizierung der Anbauflächen und die Reduzierung der Feldgröße. Die Biodiversität auch in konventionellen Systemen vervielfacht werden kann – bei gleichzeitig hohen Erträgen. Kurz gesagt: Das Um und Auf ist die Förderung biodiversitätsfreundlicher Landschaften, und dazu ist der Öko-Landbau nicht unbedingt erforderlich.
VNS: Für Sie heißt Umweltschutz in der Landwirtschaft also in erster Linie Biodiversität und hat weniger mit den verwendeten Pflanzenschutzmitteln zu tun.
Prof. Dr. Teja Tscharntke: Zum ersten ist es ein Mythos, dass Öko-Landbau keine Pestizide einsetzt. Pestizide sind erlaubt, solange sie als natürlich gelten. Beispielsweise im Weinbau, bei Obstplantagen und auch bei Gemüse wird großflächig und wiederholt gespritzt, wobei Kupfermittel die zentrale Rolle spielen, obwohl sie sich im Boden anreichern. Ein landschaftliches Mosaik aus natürlichen Lebensräumen und mit einer kleinräumigen Diversifizierung der Anbauflächen hingegen ist sowohl in der konventionellen als auch in der ökologischen Landwirtschaft der Schlüssel zur großflächigen Förderung der Biodiversität.
VNS: Ist die Artenvielfalt auf biologisch bewirtschafteten Flächen nicht viel größer und sind diese deshalb nicht von unersetzbarem Wert?
Prof. Dr. Teja Tscharntke: Ja, das ist korrekt, mit Öko-Zertifizierung bewirtschaftete Flächen haben ein Drittel mehr Arten, erreichen aber nicht das Ertragsniveau konventionellen Anbaus, so dass für den gleichen Ertrag mehr Fläche benötigt wird. Mit dem größeren Flächenbedarf verschwindet aber der Vorteil für die Artenvielfalt. Landschaften mit einer Mischung aus Anbaudiversifizierung, kleinen Feldern und zumindest einem Fünftel naturnaher Lebensräume können sehr viel stärker die Biodiversität fördern als die reine Öko-Zertifizierung. Beispielsweise beherbergen Landschaften mit einem Hektar statt sechs Hektar Feldern sechs Mal so viele Pflanzen- und Insektenarten. Eine Diversifizierung des Anbaus kann die Artenzahl verdoppeln und die biologische Schädlingskontrolle als auch die Bestäubungsleistung erhöhen.
VNS: Wie groß muss man sich denn jetzt die einzelnen Felder vorstellen?
Prof. Dr. Teja Tscharntke: In den Agrarlandschaften geht es um mindestens 20 Prozent solcher Lebensräume und die Felder sollten am besten klein, nahe an einem Hektar, sein – um die Artenvielfalt optimal zu fördern.
VNS: Für Ihre Zukunftsvision müsste in der Südtiroler Landwirtschaft, vorab im Geist der Menschen, doch so einiges umgekrempelt werden…
Prof. Dr. Teja Tscharntke: Biodiversität ist unsere Zukunft. Dies sollte von politischen Entscheidungsträgern anerkannt werden, um einen entsprechenden Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft zu erreichen.
VNS: Vielen Dank Herr Prof. Dr. Tscharntke für das Interview.
Das Interview führte für VOX NEWS Südtirol: Sara Wegener
VOX NEWS Südtirol-Quellenverweis:
Informationen über Prof. Dr. Teja Tscharntke erhalten Sie hier: Curriculum Vitae