Nach Test-Skandal: Politisches Beben in Tirol

Gesundheitslandesrat und Wirtschaftslandesrätin (beide ÖVP) zurückgetreten

Wirtschaftslandesrätin Patrizia Zoller-Frischauf und Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (beide ÖVP) haben etwas, was offensichtlich Mitglieder der Südtiroler Landesregierung nicht haben: Politischen Anstand. Beide Politiker, sie gehören der SVP-Schwesternpartei, der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), an, sind am Dienstag im Zuge eines Skandals um offensichtlich falsch übermittelte und veröffentlichte Zahlen von positiven Corona-Testergebnissen, insbesondere der Fluchtmutation B1.1.7-E484K, zurückgetreten. Mit den Tests wurde ein privates Wiener Pharmaunternehmen beauftragt. Das Labor, das seit September des Vorjahres im Nachbarland über 200.000 Tests durchführte, verdiente an dem lukrativen Auftrag mindestens acht Millionen Euro. Die Vergabe des Auftrages durch das Bundesland Tirol erfolgte damals ohne Ausschreibung. Nun haben erste Nachuntersuchungen ergeben, dass bis über 1.000 positive Corona-PCR-Test-Ergebnisse mit der besonders als gefährlich eingeschätzten Fluchtmutation B1.1.7-E484K als falsch gemeldet worden sein könnten. Die hohen Fallzahlen mit positiven Testergebnissen dieser Mutation führten unter anderem dazu, dass die Corona-Maßnahmen für Nordtirol besonders verschärft wurden. Unter anderem verhängte die Bundesrepublik Deutschland über Wochen hinweg ein Einreiseverbot für aus dem Bundesland Tirol kommende Reisende. Aus Südtiroler Sicht stellen sich zwei brennende Fragen: Wie viele Südtiroler PCR-Tests wurden ebenfalls von dem österreichischen Testlabor untersucht, zumal die Fluchtmutation B1.1.7-E484K auch mehrfach in verschiedenen Südtiroler Gemeinden festgestellt wurde und es in den betreffenden Gemeinden zu wesentlichen Verschärfungen bei den Corona-Maßnahmen kam? Und wie lange noch wollen für Missstände bei den Corona-Maßnahmen Mitglieder in der Südtiroler Landesregierung zuwarten bis sie endlich dem guten Beispiel ihrer Polit- und Parteikollegen im Bundesland Tirol folgen und ihren Rücktritt erklären?

V.l.: Der Nordtiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) mit den nun zurückgetretenen Landesräten, der bisherigen Wirtschaftslandesrätin Patrizia Zoller-Frischauf (ÖVP) und dem bisherigen Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP).

Bei unseren Nachbarn im Bundesland Tirol hat es ordentlich gerumst. Nach Wirtschaftslandesrätin Patrizia Zoller-Frischauf (ÖVP) ist am Abend auch Tirols Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) zurückgetreten. Es sind dies gleich zwei Paukenschläge an einem Abend in der Tiroler Landespolitik: Den Anfang machte am Dienstag Wirtschaftslandesrätin Patrizia Zoller-Frischauf (ÖVP). Sie trat überraschend zurück. Es sei an der Zeit, das "Zepter zu übergeben", so Zoller-Frischauf. Danach folgte mit Tirols Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg ein noch bekannterer Name. Seit 2008 war Bernhard Tilg als Landesrat für Gesundheit, Hochschulen und Universitäten in Tirol zuständig, 2013 übernahm er zusätzlich den Bereich Pflege.

Tilg hatte in der jüngeren Vergangenheit unter anderem in der Causa um den Corona-Hotspot Ischgl im Frühjahr 2020 polarisiert und nicht zwingend mit krisensicherer Kommunikation brilliert. Die Pandemie habe ihm alles abverlangt, so Tilg nun in seiner Stellungnahme zum Rücktritt: "Seit Ausbruch der Pandemie stand der Schutz der Tiroler Bevölkerung zu jedem Zeitpunkt an erster Stelle. Ich bin froh und dankbar, dass es uns gelungen ist, die Tiroler Spitalslandschaft vor einer Überlastung zu schützen." Tirol habe in den letzten Monaten eine umfassende Testinfrastruktur geschaffen, so Tilg: "Sie ist unser Sicherheitsnetz, bis genug Impfstoff vorhanden ist, um jeder Tirolerin und jedem Tiroler eine Impfung anbieten zu können. Ich bin überzeugt, dass die Impfung der Schlüssel zur Normalität ist, die bereits in greifbare Nähe gerückt ist."

Er bedankte sich in der Stellungnahme bei Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) für die "hervorragende und konstruktive Zusammenarbeit". Tilg möchte nach "fast 13 Jahren in der Spitzenpolitik" nun wieder als Professor für Medizintechnik und Medizininformatik arbeiten.

Hintergrund wohl "PCR-Testlabor"

Hintergrund der beiden Rücktritte dürfte der Wirbel um das Unternehmen HG Labtruck sein – eine Tochterfirma der HG Pharma des Wiener Urologen Ralf Herwig. Es ist vom Land Tirol ohne Ausschreibung mit PCR-Tests und -Analysen im Umfang von über acht Millionen Euro beauftragt worden. Nach einem Bericht im Standard steht die Frage im Raum, ob die Qualität der PCR-Tests überhaupt angemessen war, nachdem öffentlich wurde, dass sich offenbar kein Labormediziner im Team der HG Labtruck befand. Herwig kalmierte: Es sei unklar, ob es für die Tätigkeit überhaupt Labormediziner brauche. Das Land Tirol prüft den Fall, hieß es am Dienstag.

Nachfolger stehen schon fest

Die beiden Nachfolger für die zurückgetretenen Landesräte Patrizia Zoller-Frischauf und Bernhard Tilg stehen schon fest. Nach einem Bericht des "Kuriers" soll der Landtagsvizepräsident und Bürgermeister von Galtür, Anton Mattle, als Wirtschaftslandesrat folgen. Die Geschäftsführerin des Sanatorium Kettenbrücke, Annette Leja, soll hingegen die neue Gesundheitslandesrätin von Tirol werden, teilte die ÖVP mit. Und: Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) wolle die beiden morgen, Mittwoch, dem Parteivorstand vorschlagen. Mattle habe "hohe Kompetenz in wirtschaftlichen Fragen", mit Leja würde man eine "angesehene Expertin und Managerin aus dem Gesundheitssektor" gewinnen, meinte Platter.

Unbekannte Auswirkungen auf Südtirol

Nicht klar ist wie sich der Skandal im Nachbarland auf Südtirol auswirkt. Zum einen besteht die Frage, wie viele Südtiroler PCR-Tests möglicherweise ebenfalls von dem österreichischen Testlabor untersucht wurden, zumal die Fluchtmutation B1.1.7-E484K auch mehrfach in verschiedenen Südtiroler Gemeinden festgestellt wurde und es in den betreffenden Gemeinden zu erheblichen Verschärfungen bei den Corona-Maßnahmen kam. Insbesondere jedoch dürfe die Luft für die ohnehin bereits wegen verschiedener Missstände im Bereich von Corona-Maßnahmen in Kritik stehenden Mitgliedern der Südtiroler Landesregierung eng werden. Fakt ist, dass die betreffenden Mitglieder bisher jedwede politische Konsequenzen für ihre politischen Fehler ablehnten. Die plötzlichen Rücktritte in der Landesregierung des Bundeslandes Tirol dürften den unterschiedlichsten Rücktrittsforderungen auch hierzulande wieder neue Nahrung liefern.

VOX News Südtirol / ts