Keine Zuschauer, kein Flair: Mit einjähriger Verspätung und begleitet von Protesten sind die wohl außergewöhnlichsten Olympischen Spiele der Neuzeit ohne Glanz und Glamour eröffnet worden. Lediglich rund 900 Ehrengäste - unter ihnen Japans Kaiser Naruhito - wohnten am Freitag in Tokio der weitgehend trostlosen Zeremonie bei. IOC-Präsident Thomas Bach sprach trotz der umfangreichen Corona-Einschränkungen in der Olympia-Stadt von einem wichtigen Zeichen in Zeiten der weltweiten Pandemie. "Heute ist ein Tag der Hoffnung. Ja, es ist ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Aber lasst uns diesen Moment wertschätzen, weil wir endlich alle zusammen hier sind", sagte Bach.
Um 23.13 Uhr Ortszeit erklärte der Tenno die XXXII. Olympischen Spiele für offiziell eröffnet. Anders als 1964, als Naruhitos Großvater die ersten Sommerspiele in Tokio eröffnet hatte, fehlte das japanische Wort iwai (Feier).
Es ging schon auf Mitternacht zu, als Japans Tennis-Star Naomi Osaka das olympische Feuer entzündete. Der erstmals mit Wasserstoff gefüllte Behälter symbolisiert eine Sonne. In den vergangenen 121 Tagen hatten etwa 10 000 Menschen die Flamme über eine Strecke von rund 2000 Kilometern quer durch Japan getragen.
Zuvor waren die 205 Nationen und das Flüchtlingsteam weitgehend unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln in das fast leere Olympiastadion einmarschiert. Auch die 384 Olympioniken starke italienische Mannschaft präsentierte sich bei ihrem Einzug ins Stadion mit japanischen Symbolen. So ist das offizielle Outfit der italienischen Olympiamannschaft ein durchgehend weißer Anzug. In Anlehnung an Japans Nationalfahne befindet sich auf der Bauchseite des Trikots ein runder Kreis, in welchem die italienische Trikolore abgebildet ist. Ein Outfit, das auch die 9 Südtiroler Athleten tragen müssen. In der Disziplin Mountainbike kämpfen Eva Lechner und Gerhard Kerschbaumer um eine Medaille, bei den Volleyballern Raphaela Folie und Simone Giannelli und im Sportkletter Michael Piccolaruaz. Im Schwimmen kämpft Stefano Ballo um einen olympischen Podestplatz, Debora Vivarelli tut dies im Tischtennis. Die Leichtathletin Petra Nardelli und die Triathletin Verena Steinhauser versuchen ebenso in Tokio ihr Glück. Somit vertreten neun Südtiroler Athletinnen und Athleten acht der 33 olympischen Sportarten, worauf auch Landeshauptmann und Sportlandesrat Arno Kompatscher stolz ist. „Dies spiegelt einerseits die große Sportbegeisterung in Südtirol wider, zeigt aber auch auf, wie viele Spitzenleistungen Südtiroler Athletinnen und Athleten in unterschiedlichsten Sportarten erbringen“, sagt Kompatscher. Zudem verweist Kompatscher darauf, dass sich unter den fünf neuen olympischen Sportarten auch das Sportklettern findet, und Südtirol mit dabei ist. Aber auch im Schwimmen, im Volleyball, in der Leichtathletik, im Tischtennis, im Triathlon und im Mountainbiking seien Südtiroler Sportler auf Olympianiveau, betont der Landeshauptmann, der sich überzeugt zeigt, dass "ganz Südtirol mit unseren Athletinnen und Athleten mitfiebern wird".
Einer der nicht dabei ist der Kalcher Geher und Olympiamedallengewinner Alex Schwazer. Bereits im Mai dieses Jahres platze der Olympiatraum für ihn, als der Internationale Sportgerichtshof in Lausanne VD die gegen ihn im August 2016 achtjährige Doping-Sperre nicht aufhob.
Ein Hingucker beim Einmarsch der Sportler und Nationen war erneut Pita Taufatofua, der wie schon 2016 in Rio de Janeiro und 2018 in Pyeongchang halbnackt mit eingeölter Brust ins Stadion kam. Der 37 Jahre alte "Coconut Fighter" trug wieder die Fahne von Tonga und beeindruckte mit seinem durchtrainierten Oberkörper. Mit seinem Outfit war er aber nicht allein: Auch Ruderer Rii Riilio aus Vanuatu kam mit freiem Oberkörper, Bastrock und Flip-Flops an den Füßen in die Arena.
Die Olympia-Kleidung der Deutschen Olympiamannschaft kam dagegen nicht überall gut an. "Wer ist verantwortlich für dieses Outfit", schrieb Basketball-Nationalspieler Maodo Lo auf Instagram. Die deutschen Olympioniken traten in einem mintgrünen Shirt und einer weißen Weste mit neongelben Akzenten auf, die Männer trugen dunkelgrüne Hosen, die Frauen einen mintgrünen Rock. Neongelbe Schuhe gab es für alle. Im Internet machten sich zahlreiche deutsche Fans über die eigenwillige Montur lustig. „Die Goldmedaille für die hässlichsten Outfits kann uns schon mal keiner nehmen“, ist eine Twitter-Userin überzeugt. „Der Preis für die schrecklichste Farbkombination geht an: Germany!“, lautet ein weiterer Kommentar. „Für eine Rave-Party mag es ja gehen, aber nicht für einen solchen Anlass. Wer hat sich das bloß ausgedacht?“
Nahezu völlig Maskenfrei präsentierte sich die olympische Mannschaft von Kirgistan. Die Mannschaft aus Kirgistan verzichtete nahezu komplett auf einen Mund-Nasen-Schutz. Auch die beiden Fahnenträger schritten ohne Maske voran. Dabei ist das Land selbst von COVID-19 stark betroffen, gerade auch deswegen weil die Regierung des Landes nach einem mehrwöchigen restriktiven Lockdown entschieden hatte, noch vor dem Sommer desselben Jahres einen Großteil der Corona-Beschränkungen aufzuheben. Angesichts leerer Staatskassen und unzureichender sozialer Sicherung ließ die wirtschaftliche Notlage der Menschen für die politisch Verantwortlichen scheinbar keine andere Lösung zu als Abstandsregeln, Mund-Nasen-Schutzpflicht und Betriebsschließungen aufzugeben. Als Folge erfasste die Pandemie Kirgistan dann in den Sommermonaten des vergangenen Jahres mit großer Wucht. Aktuell versucht das Land mit einem großangelegten Impfprogramm die Pandemie in Griff zu bekommen.
Corona ist überhaupt ein ständiger Begleiter der Sommerolympiade in Tokio. Bereits vor der Eröffnung der Olympischen Spiele hat die Zahl der Corona-Fälle weiter zugenommen. Besonders betroffen von Infektionen mit Krankheitserreger scheint die tschechische Olympiamannschaft zu sein. Nach der Bestätigung des Olympia-Aus für Beachvolleyballerin Markéta Nausch-Sluková wegen eines positiven Testergebnisses machte Tschechiens Nationales Olympisches Komitee am Donnerstag auch die Infektion von Radfahrer Michal Schlegel öffentlich. Der positive Test sei eine "riesige Enttäuschung", teilte die 33-jährige Sluková mit. Sie habe "geweint, geschimpft und wieder geweint". Zuvor waren bereits ihr Ehemann und Trainer Simon Nausch sowie ein Spieler und ein Betreuer des tschechischen Beachvolleyball-Teams positiv getestet worden. Sluková muss nun für zehn Tage in Quarantäne. Ihre Teilnahme an den Spielen in Tokio ist damit ausgeschlossen. Die Coronafälle im tschechischen Team sorgen für Unverständnis und Ärger. Selbst der Ministerpräsident äußert sich erbost zu den Umständen. Er sagte, die Vorgänge seien "skandalös, das gefällt mir überhaupt nicht. Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte."
Ihre Olympia-Hoffnungen begraben muss auch die niederländische Taekwondo-Kämpferin Reshmie Oogink. Sie wurde am Donnerstag - wie auch ein Betreuer aus dem Oranje-Ruderteam - positiv getestet und verkündete danach enttäuscht ihr Karriereende. "Ich habe alles getan, was ich konnte, und so hart gearbeitet, um bei den Spielen dabei zu sein", sagte die 31-Jährige. "Ich habe sogar schwere Knieverletzungen überwunden, und jetzt ist es zu einem plötzlichen Ende gekommen."
Ebenfalls nicht in Tokio dabei sein wird wegen eines positiven Corona-Tests der russische Schwimm-Europameister Ilja Borodin. Der 18-Jährige, der bei der EM in Budapest im Mai Gold über 400 Meter Lagen gewonnen hatte, habe zumindest keine Symptome, berichtete die russische Staatsagentur Tass. Insgesamt wurden seit Anfang Juli in den Olympia-Teams mehr als 100 Personen positiv getestet.
Guinea wird nun doch mit fünf Sportlerinnen und Sportlern an den Spielen in Tokio teilnehmen. Das teilte das Nationale Olympische Komitee des westafrikanischen Landes am Donnerstagabend mit. Zuvor hatte Guinea die Teilnahme an den Spielen abgesagt - unter Verweis auf die steigende Zahl der Corona-Infektionen und die Sorge um die Gesundheit der Athletinnen und Athleten abgesagt. Nach der Rolle rückwärts bleibt Nordkorea das einzige Land, das wegen der Pandemie nicht an den Spielen teilnimmt.
In den nächsten 16 Tagen kämpfen rund 11 000 Sportlerinnen und Sportler vor leeren Rängen um Gold, Silber und Bronze. In 33 Sportarten gibt es die Rekordzahl von 339 Olympia-Entscheidungen. Bei der Zeremonie bekamen die Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt bereits einen Vorgeschmack auf die ersten Olympischen Spiele ohne Zuschauer.
In seiner Rede sprach Bach allen Mut zu. "Ihr habt vor großen Herausforderungen bei eurer olympischen Reise gestanden", sagte der IOC-Chef an die Adresse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. "Ihr habt gekämpft, durchgehalten und niemals aufgegeben. Und heute lasst ihr euren Olympia-Traum wahr werden." Zu diesem Zeitpunkt hatten etliche Athletinnen und Athleten wegen der großen Hitze und aus Gründen der Risikominimierung das Stadion aber bereits wieder verlassen.
Die Show, in deren Vorfeld es mehrere Skandale und Rücktritte im Kreis der Organisatoren gegeben hatte, war wegen der besonderen Umstände stark auf das Fernsehen zugeschnitten und verlief ohne Höhepunkte. Eingerahmt wurden die landestypischen Darbietungen der Künstler von einem Feuerwerk, das in der japanischen Metropole weithin sichtbar war. Am Ende der Zeremonie flog eine Flotte von 1.824 Drohnen in den Himmel über dem Olympiastadion. Anfangs anlässlich der Spiele 2020 marschiert, nahmen sie später die Form der Erde an.
Keinen Blick dafür hatten Hunderte japanische Olympia-Gegner, die vor der Arena lautstark gegen die Sommerspiele protestierten. Rufe wie "Stoppt die Spiele" oder "Brecht die Eröffnungsfeier ab" drangen über Megafone bis ins Olympiastadion. Zu ähnlichen Aktionen war es zuvor schon in der Stadt rund um das Rathaus gekommen. Auf Bannern stand "Löscht die Olympische Fackel" und "Keine Olympiade" sowie "Globales Verbrechen gegen Japan".