Wissenschaftliche Sensation

Der älteste Südtiroler

Nein, es handelt sich nicht um den ältesten lebenden Südtiroler. Der älteste Südtiroler befindet sich im Bozner Stadtzentrum und zwar im Südtiroler Archäologiemuseum: Gemeint ist Ötzi, der Mann aus dem Eis. Am 19. September 1991 hatte ein deutsches Bergsteigerpaar, das am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen unterwegs gewesen waren, die Gletschermumie aus der Kupferzeit bzw. Jungsteinzeit gefunden. Kurz darauf war klar, dass es sich bei dieser Mumie um eine archäologische Sensation handelte.

Bild 1: Rekonstruktion von Ötzis Physiognomie ausgehend von seinem Skelett.

Populärwissenschaftler stellen sich gerne die Frage nach der Bedeutung von Ötzis Tätowierung oder die Frage danach, ob er wirklich Opfer eines Mordes wurde. Tatsächlich gibt es an dem Mann aus dem Eis allerding mehr zu erforschen und spannende Details zu entdecken, die uns Aufschluss darüber geben, wie unsere Vorfahren gelebt haben. Eigentlich ist archäologische Arbeit so, als ob man eine kleine Zeitreise machen würde, ohne seine eigene Dimension von Zeit und Raum zu verlassen. Und das, obwohl man sich mit vermeintlich trockenen Sachverhalten beschäftigt. Ötzi stellt hier ein Paradebeispiel dar. Natürlich ist es spannend zu erfahren, wie er starb und was die Tätowierung zu bedeuten haben, aber auch banal erscheinende Dinge, wie die Bestimmung seines Alters, seiner Herkunft oder seiner sozialen Stellung oder seine Ausrüstung sind interessant. Und auch die Kleidungsreste, mit denen der älteste Südtiroler in einer Felsmulde, deren Eis durch das warme Wetter abgeschmolzen war, gefunden wurde, sind im Grunde hochspannende Objekte.

Ötzi ist nicht zuletzt deshalb ein interessanter Mumienfund, weil es sich um die älteste bekannte menschliche Mumie handelt, deren Mumifizierung sich auf natürlichem Wege vollzogen hat: So ist sein Todeszeitpunkt für den Zeitraum zwischen 3359 und 3105 v. Chr. ermittelt worden. Wie ist es möglich, das Alter einer Mumie aus grauer Vorzeit zu bestimmen? Faszination Archäologie: Der Schlüssel zur Altersbestimmung ist auch hier die Radiokohlenstoffdatierung bzw. die C14-Datierung. Willard Frank Libby hat diese Methode bereits 1946 erarbeitet. Seine Methode beruht darauf, dass in abgestorbenen Organismen die Menge an gebundenen radioaktiven 14C-Atomen dem Zerfallsgesetz folgend kontinuierlich abnimmt. Lebende Organismen sind von diesem Effekt nicht betroffen, da sie ständig neuen Kohlenstoff aus der Umwelt aufnehmen, der wieder den normalen Anteil an 14C-Atomen aufrechterhält. Dieser „normale Anteil“ ist trotz des ständigen Zerfalls nahezu konstant. Wie jeder radioaktive Stoff reduziert sich auch 14C mit einer gewissen Geschwindigkeit bis es seine Halbwertzeit erreicht, also den Zeitpunkt, bei dem nur noch die Hälfte des Stoffes vorhanden ist. Die Grenzen der Methode im Anwendungsbereich liegen zwischen 300 und 60.000 Jahren.

Forensische, anthropologische und medizinisch-archäologische Untersuchungen an dem 1,54 große und 13 kg schweren Leichnam ergaben, dass Ötzi bei seinem Tod ca. 45 bzw. 46 Jahre alt gewesen sein muss. Obwohl einige Blessuren, Frakturen und ein Schädel-Hirn-Trauma nachgewiesen werden konnten, ist der generelle Verschleiß des Skeletts relativ gering, woran eine privilegierte soziale Stellung ablesbar ist. Die stark abgenutzten Zähne sind kein Novum für Funde aus dieser Zeit, denn sie sind darauf zurückzuführen, dass das Hauptnahrungsmittel im Neolithikum Getreide war, das oft noch kleinste Partikel von Mahlsteinen enthielt. Dem Mineralienstatus der Zähne nach zu urteilen, kam er aus dem Eisacktal. 61 Einzeltätowierungen bilden zahlreiche blauschwarze Tätowierungsgruppen: Diese Tätowierungen, bei denen kleine, punktförmige Wunden mit Holzkohlepartikel aufgefüllt wurden, gehören zu den ältesten der Welt, wobei besonders parallele Linien im Lendenbereich und um die Knöchel sowie eine kreuzförmige Tätowierung hinter dem rechten Knie auffallen. Die These der Forscher ist, dass es sich um therapeutische Tätowierungen im Sinne von Akupunkturlinien handelt, aber darüber lässt sich bis dato lediglich spekulieren. Grund zur Annahme, dass es sich um eine therapeutische Funktion handelt, ist das Wissen der Anthropologen, dass solche Tätowierungen noch heute bei zahlreichen Naturvölkern als Therapie eingesetzt werden und die verwendete Technik dabei der Technik, die bei Ötzi angewendet wurde, ähnelt.

Die Gegenstände, die bei dem ältesten Südtiroler gefunden wurden, wie beispielsweise ein Kupferbeil, für das es nur wenige Vergleichsmomente gibt, und ein lessinischer Feuerstein, der seinen Namen von seinem Material hat, das wohl in den Lessinischen Alpen gewonnen wurde, weisen Ötzi als Vertreter der südalpinen Remedello-Kultur aus. Zu den Gegenständen gehören auch Pfeil und Bogen, ein Dolch aus Feuerstein, eine Gürteltasche mit Inhalt sowie die Bekleidung des Leichnams. Natürlich soll an dieser Stelle nicht jeder dieser Gegenstände analysiert werden, aber auch die wenigen Aspekte, wie Datierung der Mumie, ihre räumliche Zuordnung, die Einordnung  des soziale Standes oder die Schlüsse, die die von Ötzi mitgeführten Gegenstände zulassen, zeigen zum Einen, dass Archäologie ohne populärwissenschaftliche Thesen auskommt, um spannend zu sein und machen zum anderen Lust darauf, mehr zu erfahren.

Wer neugierig geworden ist und mehr über den "ältesten Südtiroler" erfahren will, kann die Dauerausstellung im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen besuchen, die seit 1998 die Gletschermumie im Original ausstellt. Außerdem wird versucht, in den Freilichtmuseen Ötzi-Dorf in Umhausen in Nordtirol und im ArcheoParc in Schnals in Südtirol, die Lebenswelt Ötzis und seiner Zeit zu rekonstruieren und einem breiten Publikum zu vermitteln.

Bildgalerie:

  • Bild 1: Rekonstruktion von Ötzis Physiognomie ausgehend von seinem Skelett.
  • Bild 2: Kleidungsstücke und Gegenstände, die Ötzi mit sich führte.

 

VOX News Südtirol / nb