Seit der Veröffentlichung des Buches "Freunde im Edelweiß", mit zahlreichen Abhörprotokollen der Staatsanwaltschaft Bozen zur SAD-Affäre, ist innerhalb der Südtiroler Volkspartei kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. Während SVP-Obmann Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher am Montag dieser Woche den Rücktritt von Landesrat Thomas Widmann, SVP-Vizeobmann Karl Zeller und des Bozner SVP-Bezirksobmannes Christoph Perathoner forderten, verweigerten die Betroffenen in einer ersten Reaktion den gewünschten Rücktritt. Zeller verwies darauf, dass er von der SVP-Landesversammlung gewählt worden sei und er nur von diesem Gremium abgewählt werden könne. Und auch Landesrat Widmann ließ der Südtiroler Öffentlichkeit gegenüber wissen, dass er von sich aus nicht zurücktreten werde. Würden ihm die Kompetenzen als Landesrat entzogen, würde die Südtiroler Landesregierung neu und ohne ihn gebildet, würde er seine politische Arbeit nicht mehr als Regierungsmitglied fortführen können, sehr wohl aber als Mandatar im Landtag, sagte Widmann gegenüber der versammelten Südtiroler Presse.
Dann der Paukenschlag am Dienstag. Der Bozner Wirtschaftsberater, Steuer- und Immobilienexperte sowie Vertreter des österreichischen Investors René Benko in Südtirol, Heinz Peter Hager, forderte offen den Rücktritt von SVP-Obmann Philipp Achammer. "Er sei von Achammer erpresst worden", wirft Hager Achammer vor. Auch dieser wies alle Vorwürfe von sich. "Er denke gar nicht an einen Rücktritt", so Achammer.
Nun tut sich aber eine neue Front auf, die mit Sicherheit innerhalb der Edelweiß-Partei zu Diskussionen führen wird.
Kritik kommt ausgerechnet jetzt nämlich von einem Südtiroler Unternehmen im Personentransport, konkret dem Sterzinger Mietwagenunternehmer Markus Bosin. David gegen Goliath könnte man meinen, doch die Kritik dieses Insiders hat es in sich. Und die Kritik, verbunden mit einer handfesten Rücktrittsforderung, richtet sich direkt an den amtierenden Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher.
Doch was sind die Hintergründe für die Rücktrittsforderungen eines Sterzinger Kleinunternehmers an den politisch mächtigsten Mann im Lande?
Markus Bosin, der Sterzinger Mietwagenunternehmer, schildert Sachverhalt und Rücktrittsgründe in seiner Aussendung. Konkret schreibt er an die Politik gerichtet (VOX NEWS Südtirol gibt das Schreiben vollinhaltlich wieder):
"Sehr geehrte Damen und Herren, bitte nützen Sie die aktuelle Chance in der Politik, dass auch der LH seinen Koffer packen muss!
Das was er gestern (Anm. d. R.: Pressekonferenz vom Montag, 28. März) bei seinem Auftritt gesagt hatte, war eine reine Lüge!
Die Ausschreibung vom öffentlichen Personennahverkehr ist nicht so lückenfrei über die Bühne gegangen! Ganz im Gegenteil. Und es gibt auch für uns keinen nennenswerten Mehrwert!
Es war sicher kein Zufall, dass von den 40 Angeboten die 10 alteingesessenen Südtiroler Unternehmen gewonnen haben!
Aus Insider-Kreisen hört man schon die verschiedensten Vermutungen:
Die Angebote wurden angeblich in Absprache so günstig hinterlegt, um die Ausschreibung zu sichern. In einem zweiten Moment solle dann eine Differenzzahlung in Form von Beiträgen an die Unternehmen ausgezahlt werden.
Das Einzige was sich geändert hat, dass der Platzhirsch jetzt nicht mehr SAD heißt, sondern Silbernagl! Und wird dazu noch von der öffentlichen Hand und seinem ehemaligen Geschäftspartner (LH Arno Kompatscher) unterstützt!
Für uns alle hat das katastrophale Auswirkungen, da er uns im gesamten Personentransport die Arbeit wegnimmt!
Zwei Beispiele:
Im Behindertentransport arbeitet das Unternehmen in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft und im freien Taxidienst "Südtirol Transfer" (wurde eigens von Silbernagel gegründet). Die Gelder kommen vom Land zum HGV und dann zum Unternehmen Silbernagel.
Solche Sonderzahlungen von Diensten hat es bei uns noch nie gegeben. Bei uns werden höchstens versprochene Zahlungen wieder gestrichen! (Corona-Hilfen)
Die SASA AG spielt auch seit letzter Woche gegen uns.
Sie vergibt Liniendienste mittels Ausschreibung zu einem Kilometerpreis von 2,00.- Euro und kassiert vom Land aber 3,50.- Euro.
Auch hier wird vermutet, dass der Preis von gewissen Personen vorgegeben wurde, um mittlere und kleine Betriebe systematisch zu eliminieren!
Vergessen wir nicht die 13 Millionen Euro, die das Land in die neue Seilbahn im Eggental bezahlt hat, ohne Gewinnbeteiligung. Für ein privates Unternehmen, Silbernagl.
Hätte bei so viel Geld nicht das Land Eigentümer von der Seilbahn werden sollen? So wie am Ritten.
Wir sind Südtirol weit rund 500 Betriebe und nicht nur ein Einmannbetrieb, der glaubt er müsse alles haben, egal mit wie vielen Verlusten im Umfeld!“
Was der Sterzinger Mietwagenunternehmer in seinem Schreiben zum Ausdruck bringt, zeigt die aktuelle Unzufriedenheit vieler Südtiroler Unternehmer im Personentransport. Sie verstehen sich als Geprellte und es wird durch die Aussendung von Markus Bosin auch klar, dass dieser Konflikt auf politischer Ebene derzeit sehr einseitig geführt wird.
Es ist ein Fakt, dass das Buch "Freunde im Edelweiß" im Wesentlichen nur das "Sittenbild" (Definition der Buchautoren) einer "Gruppe", jener um die Autobusgesellschaft SAD, wiedergibt. Das zweite Lager, welches nebenbei drei von insgesamt 10 Losen der Ausschreibungen der Landesverwaltung im öffentlichen Personentransport gewonnen hat, konkret die Kastelruther Busunternehmer-Familie Silbernagl, zu welchen der amtierende Landeshauptmann Arno Kompatscher tatsächlich ein freundschaftliches Nahverhältnis hat, kann sich im Schatten des SAD-Skandals hingegen auf der sicheren Seite wiegen.
Arno Kompatscher ist seit 2013 Landeshauptmann in Südtirol. Schauen wir nach, wie sich das Unternehmen Silbernagl seit 2013 wirtschaftlich entwickelt hat.
Soweit die Eigenvorstellung der Silbernagl GmbH, nachzulesen auf der Firmenhomepage, auf welcher interessanter Weise im Zuge der oben wiedergegebenen Unternehmensentwicklung mit keinem einzigen Wort die "SiMobil GmbH" erwähnt wird.
Am 25. November 2021 gab die Provinz Bozen die neuen Konzessionen der Lose für 10 öffentlichen außerstädtische Linienverkehrsdienste bekannt. Für die Lose eins (Unterland), drei (Schlern – Gröden) und vier (Vinschgau) wurden die Konzessionen an das Unternehmen "SiMobil" – also an die Kapitalgesellschaft der Busunternehmerfamilie Silbernagl – vergeben, für die Lose fünf (Wipptal), sechs (Eisacktal) und sieben (Unteres Pustertal) an die Bietergemeinschaft "Pizzinini/Auto Rainer". Die Zuschläge der Lose acht (Gadertal), neun (Ahrntal und Bruneck) und zehn (Hochpustertal) gingen an die Bietergemeinschaft "Serbus/Taferner/Holzer/Seiwald", das Los zwei (Eggental) hingegen an das Konsortium "KSM/CAA".
Die Dienste für die außerstädtischen Buslinien und somit rund 21 Millionen Buskilometer wurden Ende Februar 2021 - aufgeteilt auf zehn Lose - EU-weit ausgeschrieben. Dabei betrug die Ausschreibungssumme für einen Gesamtzeitraum von zehn Jahren rund 714 Millionen Euro. Durch eine Lossperre konnte ein Unternehmen maximal drei der zehn Lose zugeteilt bekommen, wovon nebenbei auch die Kastelruther Busunternehmer-Familie Silbernagl im maximalen Ausmaße profitierte.
Fakt ist, dass innerhalb der SVP wirklich viel aufzuarbeiten ist und ob es bei dieser ersten konkreten Rücktrittsaufforderung gegenüber den amtierenden Landeshauptmann Arno Kompatscher, ausgesprochen von einem Insider und betroffenen Unternehmer im öffentlichen Personentransport Südtirols, bleiben wird, wird sich zeigen.
Und noch etwas zeichnet sich ab:
Sollten sich im Zuge dieser Aufarbeitung etwaige "Verquickungen" von Landeshauptmann Arno Kompatscher zu den Gewinnern der Ausschreibung der oben genannten Konzessionen der Lose für 10 öffentliche außerstädtische Linienverkehrsdienste tatsächlich bestätigen, dann könnte der Sterzinger Mietwagenunternehmer Markus Bosin in der Tat recht haben, wenn er - wie in seiner Aussendung geschehen - behauptet, dass die Verhaltensweise des Südtiroler LH für die Südtiroler Unternehmer im Personentransport "katastrophale Auswirkungen" hatte, da er - so ja der konkrete Vorwurf von Markus Bosin - den Unternehmern im gesamten Personentransport die Arbeit weggenommen hat.
Sollten sich die von Markus Bosin kolportierten und aufgezeigten Verstrickungen zwischen LH und den Gewinnern der außerstädtischen Linienverkehrsdienste tatsächlich als wahr herausstellen, spätestens dann dürften sich auch viele Leser des Buches "Freunde im Edelweiß" und Hörer der veröffentlichten abgehörten Telefongespräche an jene Worte erinnern, die Thomas Widmann in einem abgehörten und veröffentlichten Telefongespräch über den Landeshauptmann gesagt hat. Sagte er doch: "Noch nie so einen schwachen Landeshauptmann gehabt, noch nie so einen gehabt, der so viel Schaden für das Land gemacht hat."